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„Alle können Opfer sein“
Die diskrete Behandlung von Fällen sexualisierter Belästigung am Arbeitsplatz sollte an erster Stelle stehen. © AdobeStock/M-Production

Arbeitssicherheit : „Alle können Opfer sein“

Prof. Dr. Thorsten Krings gibt Führungskräften Tipps, wie sie mit Fällen von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz richtig umgehen.

Beruflich, aber auch im privaten Umfeld hatte Thorsten Krings immer wieder mit Opfern sexueller Grenzverletzungen zu tun. Das zeigte dem Hochschulprofessor, wie wichtig in solchen Fällen klare Prozesse und Verantwortlichkeiten im Unternehmen sind. In seinem Buch geht er auf den rechtlichen Rahmen und mögliche Schutzkonzepte ein.

Hoschulprofessor und Buchautor Prof. Dr. Thorsten Krings
Hoschulprofessor und Buchautor Prof. Dr. Thorsten Krings © Stephanie Trenz

Herr Krings, wie sollte eine Führungskraft reagieren, wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter zu ihr kommen und von einer sexuellen Grenzverletzung berichten?

Ganz wichtig ist, das Gespräch anzunehmen. Die Führungskraft ist meist in der schwierigen Situation, dass sie nicht nur die Betroffene oder den Betroffenen im Team hat, sondern auch die beschuldigte Person. Für diese muss zunächst die Unschuldsvermutung gelten.

Ein Spagat, denn natürlich möchten Vorgesetzte empathisch reagieren. Sie müssen beide Seiten im Blick behalten. Deshalb ist es so wichtig, dass es eine unabhängige Ansprechperson gibt, an die sich Opfer zunächst wenden können. Jemanden, der nicht sachlich aufklären muss, sondern Partei ergreift und unterstützend berät.

Meist ist diese Ansprechperson die Gleichstellungsbeauftragte …

Das sehe ich kritisch, weil das schnell den Blick verengt. Nicht immer begehen Männer die Taten. Meiner Meinung nach ist es daher besser, wenn es niederschwellige Angebote gibt, bei denen sich Betroffene Ansprechpersonen des eigenen Geschlechts aussuchen können. Denn alle können Opfer und alle können Täter sein.

Sexuelle Übergriffe stoppen – vor der Tat

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Was sind die größten Stolperfallen für Führungskräfte im Gespräch mit Opfern und Tatverdächtigen?

Beim Opfer ist das größte Risiko, dass man unterschätzt, in welcher emotionalen Lage sich diese Person befindet. Nehmen wir an, eine Frau ist von einem Mann unsittlich berührt worden. Für sie geht mit der Tat auch ein Kontrollverlust einher. Es gibt daher Fälle, in denen Opfer sagen, sie wollen nicht offiziell darüber reden. Beim Tatverdächtigen wiederum ist es sehr abhängig davon, auf welcher Hierarchieebene wir uns befinden. Je höher diese ist, desto genauer ist das weitere Vorgehen zu überlegen – auch um das Opfer zu schützen.

Zum Schutz gehört die Vertraulichkeit. Wie lassen sich Gerüchte verhindern und eine womöglich damit einhergehende Lagerbildung im Team?

Sobald Gerüchte in der Welt sind, lässt sich eine Lagerbildung nicht mehr unterbinden. Wichtig ist deshalb, vorher alle Beteiligten darauf hinzuweisen, wie wichtig Diskretion ist. In den meisten Fällen sexueller Grenzverletzungen gibt es weder Beweise noch Zeugen.

Es steht Wort gegen Wort. Wenn ich also Dinge nach außen trage, kann es passieren, dass ich später wegen Verleumdung oder übler Nachrede angezeigt werde. Die diskrete Behandlung des Themas ist daher für alle Beteiligten wichtig.

Die Bewertung eines Vorfalls ist für Führungskräfte nicht immer leicht. Mit wem können sie sich austauschen?

Mit einem Anwalt beziehungsweise 
der Rechtsabteilung. Diese kann die juristische Seite am besten einschätzen und ist es gewohnt, Dinge vertraulich zu behandeln.