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Berufskrankheiten: frühzeitig gegensteuern
Bei einer Erkrankung des Rückens können spezielle Sportangebote eine Verschlechterung verhindern. © Getty Images/Aja Koska

Gesundheitsschutz : Berufskrankheiten: frühzeitig gegensteuern

Der Wegfall des Unterlassungszwangs seit Januar 2021 erleichtert Beschäftigten, Arbeitgebenden und Unfallversicherungsträgern den Umgang mit Berufskrankheiten.

Ob in Berlin, Schleswig-Holstein oder dem Saarland: Überall in der Republik klagen Pflegekräfte über wiederkehrende, starke Rückenschmerzen. Gerade jene, die schon so manches Berufsjahr hinter sich haben. Zu ihrem Job gehört es nämlich, immer wieder Patienten und Patientinnen zu heben und umzulagern.

Wird ein Bandscheibenvorfall diagnostiziert, rührt dieser häufig von der körperlichen Belastung über lange Berufsjahre her. Das Wissen darum ist weitverbreitet. Dennoch: Bis Dezember 2020 hätten betroffene Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen erst formal bestätigen müssen, den bisherigen Beruf aufzugeben, damit der Bandscheibenvorfall als Berufskrankheit hätte anerkannt werden können.

Trotz Berufskrankheit im Beruf bleiben können

Diese Regelung nannte sich Unterlassungszwang. Er brachte viele Versicherte in eine Zwickmühle: Übten sie ihren Beruf weiter aus, erhielten sie keine Leistungen. Gaben sie den Beruf auf, profitierten sie gegebenenfalls von Leistungen, verließen jedoch das gewohnte Arbeitsumfeld. Dank einer Gesetzesänderung, die der Bundestag 2020 für Berufskrankheiten beschlossen hat, wird Betroffenen diese Entscheidungslast genommen. Durch den Wegfall des Unterlassungszwangs kann eine Berufskrankheit anerkannt werden, ohne dass die berufliche Tätigkeit aufgegeben werden muss.

Beim Beispiel der Krankenpflege ist dies jedoch nur auf rückenschonende Weise möglich. Dafür ebnet die Gesetzesänderung neue Wege. Der Wegfall des Unterlassungszwangs geht nämlich mit einer Stärkung der Individualprävention einher, wie Thomas Pflieger erklärt. Er leitet die Abteilung Betreuungsfall, Reha-Management und Berufskrankheiten bei der Regionaldirektion Rheinland der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen (NRW). „Sobald der Verdacht besteht, dass eine Berufskrankheit vorliegt oder dabei ist, sich zu entwickeln, können wir als Unfallkasse bereits tätig werden“, so Pflieger.

Gut zu wissen

Was sind Berufskrankheiten?

  • Eine Berufskrankheit ist eine Erkrankung, deren Ursache in der beruflichen Tätigkeit liegt. Alle aktuell als Berufskrankheit anerkennungsfähigen Erkrankungen sind in der Berufskrankheitenliste aufgeführt.
  • Die Liste der Berufskrankheiten wird ergänzt, sobald neue medizinische Erkenntnisse vorliegen. Ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat schlägt vor, welche Krankheiten auf die Liste gesetzt werden sollen. Bundesregierung und Bundesrat entscheiden darüber.
  • Seit Januar 2021 gelten Neuregelungen für die Anerkennung von Berufskrankheiten. Dazu gehört der Wegfall des Unterlassungszwangs, wodurch Beschäftigte ihre Tätigkeit nicht mehr aufgeben müssen, um eine Berufskrankheit anerkannt zu bekommen.
  • Individualprävention umfasst Angebote der gesetzlichen Unfallversicherung, die darauf abzielen, den Eintritt von Berufskrankheiten oder schwere Krankheitsverläufe zu verhindern. Die geeigneten Maßnahmen werden je nach Branche und Person individuell ausgewählt.

Leiden frühzeitig und individuell begegnen

Tatsächlich gehören Erkrankungen der Wirbelsäule im öffentlichen Dienst zu den häufigsten Berufskrankheiten. Im Fall von betroffenen Pflegekräften würde die Unfallkasse etwa ein Rücken-Coaching vorschlagen und dafür die Kosten für bis zu zwölf Monate übernehmen. Das Rücken-Coaching findet in einem geeigneten Fitnessstudio statt und wird von geschultem Fachpersonal für Rückenübungen durchgeführt.

Auf diese Weise wird versucht, einen Verbleib im Beruf zu ermöglichen. Eine enorme Erleichterung sowohl für die Beschäftigten selbst als auch für die Arbeitgebenden. Denn erfahrenes Personal ist wertvoll. Offene Stellen lassen sich aufgrund des gravierenden Fachkräftemangels meist nur schwer besetzen. Und ist die neue Fachkraft gefunden, muss sie erst eingearbeitet werden.

Doch was, wenn die individuellen Präventionsmaßnahmen nicht helfen? Erst dann würde man darüber nachdenken, die berufliche Situation zu ändern, sagt Thomas Pflieger. Das gewohnte Arbeitsumfeld zu verlassen, könne aber dennoch verhindert werden: „Es wäre denkbar, dass beispielsweise Beschäftigte der Pflege in eine Schreibtischtätigkeit wechseln, an einen ergonomischen Arbeitsplatz mit einem höhenverstellbaren Schreibtisch“, so Pflieger.

Satistik der häufigsten Berufskrankheiten im öffentlichen Dienst. Auf Platz 1 ist ganz klar die Infektionskrankheiten.
© Quelle: DGUV 2021, Grafik: raufeld

Heller Hautkrebs und andere Hauterkrankungen verbreitet

Berufsbedingte Gesundheitsgefahren werden vorab zwar in einer Gefährdungsbeurteilung erfasst und Maßnahmen wie Schutzkleidung oder andere Hilfsmittel sollen ihnen vorbeugen. „Trotzdem gelingt es nicht immer, jede Gesundheitsgefahr abzuwenden“, sagt der Präventionsexperte.

Weitverbreitet sind im öffentlichen Dienst auch Hautkrebserkrankungen. „Zu einer wachsenden Gefahr ist der sogenannte helle Hautkrebs geworden“, sagt Pflieger und fügt hinzu: „Er trifft Beschäftigte, die über längere Zeit in der prallen Sonne arbeiten.“ Beispielsweise sind Beschäftigte von Stadtverwaltungen gefährdet, die beim Grünschnitt täglich viel Zeit im Freien verbringen.

Stellt eine Betriebsärztin oder ein Betriebsarzt fest, dass die Gefahr eines beginnenden Hautkrebses besteht, übernimmt die Unfallkasse für die betroffene Person die Behandlungskosten. Präventiv sind im Fall des weißen Hautkrebses die Arbeitgebenden gefragt. Sie können die Arbeitszeiten anpassen und beispielsweise langärmlige Schutzkleidung und Kopfbedeckungen zur Verfügung stellen.

Checkliste

Was passiert beim Verdacht auf eine Berufskrankheit?

  1. Beschäftigte, die über Krankheitssymptome klagen, die mit ihrer beruflichen Tätigkeit zusammenhängen könnten, an den betriebsärztlichen Dienst verweisen
  2. Stellt der betriebsärztliche Dienst die berufliche Tätigkeit als mögliche Krankheitsursache fest, wird dies bei der zuständigen Unfallkasse gemeldet
  3. Nach der Meldung nimmt die Unfallkasse eine sogenannte Arbeitsanamnese vor: Fachleute untersuchen, welche Belastungen und Einwirkungen während der Arbeit der erkrankten Person eine Rolle gespielt und ob sie die Krankheit verursacht haben
  4. Die Arbeitsanamnese beinhaltet unter anderem Fragebögen und persönliche Gespräche mit auskunftsfähigen Personen wie Führungskräften, dem Betriebsrat, Kolleginnen und Kollegen

Im FAQ zu Berufskrankheiten der DGUV finden Sie mehr Informationen zum Thema.