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Das Betriebliche Gesundheitsmanagement wird immer digitaler
Das BGM wird immer smarter. So können elektronische Armbanduhren zu mehr Bewegung animieren. © Adobe Stock/Foxstudio

Gesundheitsschutz : Das Betriebliche Gesundheitsmanagement wird immer digitaler

Die Arbeitswelt ist im Wandel und mit ihr das Betriebliche Gesundheitsmanagement. Vier Trends zeigen, in welche Richtung es sich künftig entwickeln.

Krankheiten vorzubeugen, Gesundheitpotenziale zu ­stärken und das Wohlbefinden der Beschäftigten am Arbeitsplatz zu steigern, wird in Einrichtungen und Unternehmen immer wichtiger. Mit Angeboten der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF), etwa zur Suchtprävention, Bewegungsförderung und gesunden Ernährung, kann dies erreicht werden.

Doch es gelingt leichter, wenn die Aktivitäten zentral konzipiert und gesteuert werden, etwa mithilfe eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM). Dabei wandelt sich BGM mit den gesetzlichen Bestimmungen und den Erkenntnissen der Forschung. Derzeit lassen sich insbesondere vier Trends erkennen: Psychische Gesundheit wird wichtiger, digitale Angebote nehmen zu, bestehende Angebote werden besser evaluiert und zugleich individueller.

1. Trend: Psychischen Belastungen begegnen

Einer der wichtigsten Trends ist der zur stärkeren Einbeziehung psychischer Faktoren. Zentrales Instrument dabei: die Vervollständigung der Gefährdungsbeurteilung durch die psychischen Faktoren (GB Psych). Sie ist gesetzlich vorgeschrieben. Dennoch erfüllen lediglich 7,4 Prozent der Betriebe in Deutschland die Vorgabe – laut Abschlussbericht zum Arbeitsprogramm „Schutz und Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung“ der Deutschen Arbeitsschutzstrategie aus dem Jahr 2018. Es gibt also einen großen Nachholbedarf.

Eine Hürde bei der Umsetzung könnte sein, dass Unternehmen und Einrichtungen nicht wissen, wie sie das Thema angehen sollen. Doch es gibt glücklicherweise gute Tools, die bei der Umsetzung helfen. So setzt die Bayer AG in Deutschland auf einen Grob- und Feinanalyse-Dialog – auch um die Mitarbeitenden direkt einzubeziehen. „Ein Dialog auf Augenhöhe ist bei unserem Konzept sehr wichtig“, sagt Thorsten Uhle, Globaler HSE-Manager mit Schwerpunkt Occupational Health bei der Bayer AG. Dieses Prinzip wendet das Unternehmen bereits seit Jahren an, um Sicherheit und Gesundheit zu fördern.

Gefährdungsbeurteilung psychische Belastung: Grob- und Feinanalyse

Bei der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung geht es zunächst darum, eine Grobanalyse zu erstellen. Dazu gehören zum Beispiel die fünf Belastungsgruppen Arbeitsorganisation, Arbeitsinhalte, Arbeitsumgebung, soziale Beziehungen sowie neue Arbeitsformen. Für die Feinanalyse sammelt der Konzern aktuell neue Erfahrungen mit einem Tool der Präventionskampagne kommmitmensch der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung: den kommmitmensch-Dialogen. Auf sie war Thorsten Uhle 2019 aufmerksam geworden: „Als ich mir die Dialog-Box anschaute, wusste ich gleich, dass es das ist, was wir brauchen. Es ist spielerisch und nicht zu steif.“

Die Dialoge selbst wurden thematisch noch angepasst und evaluiert, ehe sie mit ersten Gruppen getestet wurden. Die Teilnehmenden bekamen Rollen im Spiel, diskutierten die Fragen nicht nur, sondern maßen auch die Zeit selbst und hielten die Zwischenergebnisse fest. „Es ist kurzweilig und unterhaltsam“, meint Thorsten Uhle. Ein erstes erfolgreiches Pilotprojekt fand bereits 2019 statt: 1.400 Mitarbeitende wurden zur GB Psych befragt, und in vier halbtägigen Workshops kamen Dutzende Vorschläge für konkrete Maßnahmen zusammen.

Aufgrund des großen Erfolgs soll dieses Vorgehen weiter ausgerollt werden. Wegen der Pandemie braucht es dafür eine digitale Variante, die sich in der Entwicklung befindet. „Gerade bei den Themen Gesundheit und Sicherheit geht es auch um persönliche Nähe und Vertrauen. Daher soll etwa der digitale Feinanalyse-Workshop in geschlossenen Videochat-Räumen stattfinden“, so Thorsten Uhle.

2. Trend: Digitaler Wandel verändert das Angebot

Doch der digitale Wandel im BGM geht über die Nutzung digitaler Kanäle hi­naus. Und der Trend zur Digitalisierung dürfte in den kommenden Jahren anhalten und sich eher noch verstärken. In der Broschüre „Digitale Instrumente – eine sinnvolle Ergänzung im Betrieblichen Gesundheitsmanagement“ fasste die Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG) den Stand im März 2020, also vor Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland, zusammen. Zu den digitalen Ins­trumenten im BGM gehören demnach:

  • der Einsatz von Wearables und individuellen Gesundheits-Apps
  • das Angebot von Online-Seminaren, Online-Coachings und eine digitale Variante des Employee Assistance Program (EAP)
  • bis hin zu Gesundheitsplattformen, mit denen Unternehmen und Einrichtungen ihre BGM-Maßnahmen organisieren können.

Viele dieser Instrumente haben einen Schub durch die Pandemie bekommen, und die nächsten Monate werden zeigen, wie viel davon bleibt.

Datenschutz gilt es zu beachten

Denn es gibt noch eine Reihe von He­rausforderungen, die mit den digitalen Instrumenten einhergehen und geklärt werden müssen. Das gilt vor allem für den Datenschutz, handelt es sich doch bei Angaben zur Gesundheit um sehr sensible Daten. Hinzu kommen Bedenken, durch digitale Instrumente kontrolliert und überwacht zu werden.

Stichwort Wearable: Sie animieren zwar zu mehr Bewegung, doch bei der Nutzung werden oft sensible Daten wie der Standort erhoben. Und nicht zuletzt untersuchen Forscher bereits, inwieweit digitale Angebote neue Gefährdungen mit sich bringen, etwa „Digital-Stress“. „Es ist zu bedenken, dass es bislang weder verbindliche Qualitätsanforderungen für Dienstleister gibt, noch dass erforscht wurde, wie sich digitale Instrumente langfristig auswirken“, heißt es daher auch am Ende der VBG-Broschüre.

Eine junge Joggerin in gelber Jacke läuft draußen in der Natur. Sie trägt eine Smartwatch und ein Armband für ihr Handy.
Gesundheitsmaßnahmen werden zunehmend digital umgesetzt. Dazu zählen auch Anreize, sich mehr zu bewegen. Ein oft gewähltes Mittel sind Smartwatches, die Schritte zählen und daran erinnern, häufiger aufzustehen. © Getty Images/Marko Pekic

3. Trend: Evaluation und Forschung verbessern die Qualität

Auf anderen Gebieten ist die Forschung da bereits weiter. Evaluation von Strukturen, Prozessen und Ergebnissen gehört zu einem ganzheitlichen BGM seit jeher dazu. So ist es auch in den „Qualitätskriterien im Präventionsfeld Gesundheit im Betrieb“ der gesetzlichen Unfallversicherungsträger und der DGUV definiert.

In den vergangenen Jahren hat die Forschung auf dem Gebiet der arbeitsweltbezogenen Gesundheitsförderung und Prävention zugenommen. Das zeigt der iga.Report 40, der die wissenschaftliche Evidenz zwischen 2012 und 2018 in den Blick genommen hat. Demnach gelten etwa Maßnahmen zur Verringerung des Tabak- und Nikotinkonsums als gut untersucht, ebenso finden sich laut Report viele gute Ansätze in der Prävention von Stress und psychischen Störungen.

Nahaufnahme von den Händen zweier Personen. Sie halten Tablet und Papiere in den Händen und zeigen sich gegenseitig Daten.
Um herauszufinden, welche Maßnahmen im BGM erfolgreich sind, ist eine regelmäßige Evaluierung wichtig. Sie erlaubt gezielte Anpassungen. © Getty Images/Chainarong Prasertthaic

4. Trend: Personalisierte Angebote für vielfältige Personengruppen

Noch auf einem anderen Gebiet tut sich viel. Diversität ist ein Kriterium, das immer mehr Unternehmen und Einrichtungen erfüllen wollen. Doch je mehr Vielfalt bei Generationen, Geschlechtern und Kulturen es gibt, desto mehr sollten auch die gesundheitlichen Präventions- und Gesundheitsförderungsangebote darauf abgestimmt sein.

„BGM muss in der Lage sein, die existente ‚Vielfalt in der Arbeitswelt‘ aufzugreifen und generell genauer hinsehen: Passt das BGM-Angebot zu der Lebenswirklichkeit der Beschäftigten?“, sagt Violetta Aust, Referentin Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren bei der DGUV. Wer einen Angehörigen zu Hause pflegt, brauche eher ein Coaching zur Stressbewältigung als Beratung zu gesunder Ernährung. Das Gesundheitsmanagement müsse individuell passende Angebote schaffen.

Eigenverantwortung der Beschäftigten

Dazu ist es wichtig, die Sicherheits- und Gesundheitskompetenz der Beschäftigten zu fördern. Das zeigte sich in der Pandemie, als es für Führungskräfte schwerer wurde, den persönlichen Kontakt zu ihren Mitarbeitenden zu halten und zu erkennen, wie es den Einzelnen geht. Und auch wenn es zurück im Büro wieder leichter werden sollte – in einer flexiblen Arbeitswelt braucht es Vertrauen seitens der Führungskräfte in die Verlässlichkeit und Eigenverantwortung der einzelnen Beschäftigten. Dem sollte ein gutes BGM Rechnung tragen.

Faktoren für ein erfolgreiches BGM

Führungskräfte

Der iga.Report 40 zeigt, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit BGM gut etabliert werden kann. Demnach ist die Unterstützung durch Führungskräfte ein wesentlicher Faktor. Wichtig sind aber auch die Unternehmenskultur und die personellen Ressourcen – Bedingungen, auf die Führungskräfte ebenfalls Einfluss haben.

Partizipation

Nicht nur das Beispiel des Bayer-Konzerns zeigt es: Wer die Mitarbeitenden aktiv einbindet, erreicht eine höhere Akzeptanz. Diese erleichtert es im weiteren Verlauf, dass die eingeführten BGM-Maßnahmen auch umgesetzt und akzeptiert werden.