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Das Schöne genießen
Nach der Arbeit ins Museum oder einen anspruchsvollen Roman lesen? War der Tag sehr stressig, ist das nicht die beste Idee. © AdobeStock/Ardea studio

Gesundheitsschutz : Das Schöne genießen

Eine Studie zeigt: Sind wir gestresst, können wir Kunst und Ästhetik wenig genießen. Hier erfahren Sie die Gründe.

Zählen Sie Reiskörner, bevor Sie ins Theater gehen? Nein? Sollten Sie aber – so die Überzeugung der Künstlerin Marina Abramovic, die die sogenannte Abramovic-Methode entwickelte. Diese bereitet Musikbe – geisterte über mehrere Stunden auf den Besuch eines klassischen Konzerts vor. Sieben Übungen gibt es, darunter eben Reiskörner zählen. Das Ziel: den Alltag vergessen. Denn um Musik wirklich zu erfahren, müsse man zunächst die Last des Lebens hinter sich lassen, meint die Künstlerin.

Stress verbraucht mentale Ressourcen

Mit Stress und ästhetischem Empfinden beschäftigt sich auch ein Forschungsteam der Psychologie um Professor Dr. Thomas Jacobsen und Rosalie Weigand an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg. Bei mehreren Untersuchungen stellte das Team einen umgekehrten Zusammenhang zwischen Stress und ästhetischem Empfinden fest: Je höher das Stresslevel einer Person ist, desto weniger intensiv nimmt sie Ästhetisches wahr. Sie kann beispielsweise ein Teaterstück oder die Lektüre eines Romans kaum genießen.

Die Ursache liegt in der begrenzten Verarbeitungskapazität unseres Gehirns. „Wenn eine Person sich gedanklich mit beruflichen oder privaten Dingen beschäftigt, belastet dies ihr Arbeitsgedächtnis“, erklärt Thomas Jacobsen. Die involvierten Kapazitäten fehlen dann, um ästhetische Eindrücke zu verarbeiten. „Ob beim Betrachten von Kunstwerken, einer Oper- oder Theateraufführung: Der Genuss steigt mit den mentalen Ressourcen, die ich dabei einsetze“, fasst Jacobsen den Effekt zusammen.

Nach stressigem Alltag lieber seichte Inhalte

Daraus leitet sich die Frage ab: Ist es überhaupt sinnvoll, einem gestressten Kollegen zu raten, abends bei ein bisschen Musik zu entspannen? Oder der Kollegin nach einem nervenaufreiben- den Arbeitstag einen Kinobesuch als Ausgleich zu empfehlen? „Die Tiefe der Verarbeitung ist dabei entscheidend“, so Jacobsen.

„Je komplexer die Inhalte, desto mehr mentale Ressourcen muss ich aufbringen, um sie zu verarbeiten. Bei komplexen Werken ist erst dann der volle Genuss gegeben, wenn ich sie gedanklich durchdrungen habe.“ Nach einem harten Tag sind daher eher seichte Inhalte geeignet. Sie erfordern eine geringere Verarbeitungstiefe und belasten das Arbeitsgedächtnis weniger.

Klicktipp

Zu viel Stress am Arbeitsplatz kann krank machen. Der Film „Stress, lass nach“ benennt auf humorvolle Weise die häufigsten Auslöser von arbeitsbedingtem Stress – und wie sie sich vermeiden lassen.

Erst entspannen, dann ins Theater

Beschäftigten, die nach der Arbeit ins Museum möchten oder sich bereits auf einen anspruchsvollen Roman freuen, rät der Psychologe: „Sich mit Entspannungstechniken auf eine solche Feierabendbeschäftigung vorzubereiten, ist vermutlich sinnvoll. Das wollen wir mit weiteren Studien untersuchen.“

Auch wenn der empirische Beleg noch aussteht, können Beschäftigte die Erkenntnisse nutzen. Zum Beispiel, indem sie nach einem langen Arbeitstag nicht direkt ins Theater fahren, sondern zunächst durch Sport, Meditation oder Atemübungen Abstand gewinnen – es müssen ja nicht gleich alle Übungen der Abramovic-Methode sein