topeins 4/2021

4 | 2021 top eins VERANTWORTLICH FÜHREN 17 I m Büro einer städtischen Ver- waltung steigen Kolleginnen und Kollegen regelmäßig auf einen Bürostuhl, um an die Unterlagen zu gelangen, die ganz oben in einem Re- gal liegen. Aus Bequemlichkeit und fehlendem Bewusstsein für die Unfall- gefahr hat sich diese Vorgehensweise in dem Team etabliert. Obwohl einigen bewusst ist, dass ein Stuhl keine ge- eignete Steighilfe ist, sagt niemand et- was – bis schließlich eine Kollegin die Balance verliert, herunterfällt und sich am Kopf verletzt. Auf Nachfragen der Teamleitung rücken die Beschäftigten dann mit der Sprache heraus. Fehler wie in diesem fiktiven Beispiel passieren – und so unangenehm sie für die verursachende Person, das Team oder gar die gesamte Organisation sind, so wichtig ist es, sich mit ihnen zu be- schäftigen und ihre Ursachen zu verste- hen. Denn erst dann können Teams sich weiterentwickeln und künftige Fehler und Unfälle vermeiden. Voraussetzung dafür ist eine positive Fehlerkultur. Schweren Folgen vorbeugen Davon spricht man, wenn das Betriebs- klima es zulässt, dass Beschäftigte und Vorgesetzte angstfrei über Fehler spre- chen können, weil das entstandene Lernpotenzial als wichtig erachtet wird. „Wenn ich offen Fehler mitteile – auch über andere Bereiche und Abteilun- gen hinweg –, hat die Organisation die Chance, aus Fehlern zu lernen, sodass andere Ereignisse gar nicht passieren“, sagt auch Cornelia Ruge, Mitarbeiterin im Sachgebiet Veränderung der Arbeits- kulturen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). Verschwei- gen Beschäftigte hingegen Fehler, kann daraus ein immenses Gefahrenpotenzial erwachsen. „Selbst aus kleinen Fehlern können schwere Schäden und Unfälle entstehen“, mahnt die Präventionsex- pertin. Wie aus einer scheinbaren Lap- palie ein schwerer Arbeitsunfall ent- steht, zeigt dieses Beispiel: Einer Person ist in einer Kaffeeküche Flüssigkeit aus- gelaufen. Weder sie selbst noch andere weisen auf den Fehler hin oder beheben ihn. Schließlich rutscht jemand aus und bricht sich den Arm. Fehler ermöglichen Entwicklung Darüber hinaus ist eine positive Hal- tung gegenüber Fehlern wichtig, wenn eine Organisation den Anforderungen der modernen Arbeitswelt gewachsen sein will, meint Prof. Dr. Gottfried Ri- chenhagen, wissenschaftlicher Direk- tor am Institut für Public Management der in Essen ansässigen FOMHochschu- le. Unter anderem sei die sogenannte VUKA-Welt stärkster Treiber für die- se neue Fehlerkultur. VUKA setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der Wör- ter volatil, unsicher, komplex und am- bivalent zusammen, mit denen Fach- leute der Wirtschaftswissenschaften den Charakter der modernen Arbeits- welt beschreiben. „Die Welt dreht sich immer schneller und es wird immer unklarer, wohin. Auch der öffentliche Sektor muss darauf reagieren. Wer sich wiederum verändert, macht notwendi- gerweise Fehler“, fasst es Richenhagen zusammen. Eine lebendige Organisati- on müsse Experimente und damit auch Fehler zulassen, wenn sie sich weiter- entwickeln will. Ruge betont zudem das Innovationspo- tenzial, das aus einer positiven Fehler- kultur erwächst: „Wenn Mitarbeitende es gewohnt sind, Lösungen zu entwi- ckeln, damit Fehler nicht wieder gesche- hen, machen sie das möglicherweise auch dann, wenn der Fehler noch >> CHECKLISTE Aus Fehlern lernen: So fördern Führungs- kräfte eine positive Fehlerkultur 1 Eigene Unkenntnis thematisieren: Vorgesetz- te sollten zum Ausdruck bringen, dass sie manch- mal selbst nicht wissen, wohin eine neue Arbeits- weise oder ein Experi- ment führen. Auch wenn sie selbst einmal einen Fehler machen, sollten sie darüber sprechen. 2 Regelmäßige Feedback- Gespräche: Damit Er- kenntnisse aus Fehlern nicht „verpuffen“, son- dern weitergegeben wer- den, sollten feste Termi- ne in unterschiedlichen Konstellationen stattfin- den – zum Beispiel im gesamten Team, in klei- nen Projektteams oder in Personalgesprächen mit Vorgesetzten. 3 Über Konsequenzen aufklären: Die Angst vor negativen Folgen hält Be- schäftigte oft davon ab, von Fehlern zu berichten. Um diese Angst zu min- dern, können Führungs- kräfte die Folgen offenle- gen, die verschiedenste Fehler verursachen. iStock/Agor

RkJQdWJsaXNoZXIy NTMzMTY=