topeins 3/2022

O b in Berlin, Schleswig-Holstein oder dem Saarland: Überall in der Republik klagen Pfle- gekräfte über wiederkehrende, starke Rückenschmerzen. Gerade jene, die schon so manches Berufsjahr hinter sich haben. Zu ihrem Job gehört es nämlich, immer wieder Patienten und Patientinnen zu heben und umzula- gern. Wird ein Bandscheibenvorfall diagnostiziert, rührt dieser häufig von der körperlichen Belastung über lange Berufsjahre her. Das Wissen darum ist weitverbreitet. Dennoch: Bis Dezember 2020 hätten betroffene Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen erst formal bestätigen müssen, den bisherigen Be- ruf aufzugeben, damit der Bandschei- benvorfall als Berufskrankheit hätte anerkannt werden können. Trotz Berufskrankheit im Beruf bleiben können Diese Regelung nannte sich Unterlas- sungszwang. Er brachte viele Versicherte in eine Zwickmühle: Übten sie ihren Be- ruf weiter aus, erhielten sie keine Leistun- gen. Gaben sie den Beruf auf, profitier- ten sie gegebenenfalls von Leistungen, verließen jedoch das gewohnte Arbeits- umfeld. Dank einer Gesetzesänderung, die der Bundestag 2020 für Berufskrank- heiten beschlossen hat, wird Betroffenen diese Entscheidungslast genommen. Durch den Wegfall des Unterlassungs- zwangs kann eine Berufskrankheit an- erkannt werden, ohne dass die berufli- che Tätigkeit aufgegeben werdenmuss. In unserem Beispiel der Krankenpflege ist dies jedoch nur auf rückenschonende Weise möglich. Dafür ebnet die Geset- zesänderung neue Wege. Der Wegfall des Unterlassungszwangs geht nämlich mit einer Stärkung der Individualprä- vention (→ siehe Infokasten Seite 28 ) einher, wie Thomas Pf lieger erklärt. Er leitet die Abteilung Betreuungsfall, Reha-Management und Berufskrankhei- ten bei der Regionaldirektion Rheinland der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen (NRW). „Sobald der Verdacht besteht, dass eine Berufskrankheit vorliegt oder dabei ist, sich zu entwickeln, können wir als Unfallkasse bereits tätig wer- den“, so Pflieger. Leiden frühzeitig und individuell begegnen Tatsächlich gehören Erkrankungen der Wirbelsäule im öffentlichen Dienst zu den häufigsten Berufskrankheiten. Im Fall von betroffenen Pflegekräften wür- de die Unfallkasse etwa ein Rücken-Coa- ching vorschlagen und dafür die Kosten für bis zu zwölf Monate übernehmen. Das Rücken-Coaching findet in einemgeeig- neten Fitnessstudio statt und wird GESUND BLEIBEN 27 3 | 2022 top eins » gegensteuern Checkliste Was passiert beim Verdacht auf eine Berufskrankheit? 1 Beschäftigte, die über Krankheitssymptome kla- gen, die mit ihrer beruflichen Tätigkeit zusammenhängen könnten, an den betriebsärzt- lichen Dienst verweisen 2 Stellt der betriebsärztliche Dienst die berufliche Tätigkeit als mögliche Krank- heitsursache fest, wird dies bei der zuständigen Unfallkasse gemeldet 3 Nach der Meldung wird die Unfallkasse eine so- genannte Arbeitsanamnese vornehmen: Fachleute unter- suchen, welche Belastungen und Einwirkungen während der Arbeit der erkrankten Per- son eine Rolle gespielt und ob sie die Krankheit verursacht haben 4 Die Arbeitsanamnese beinhaltet unter anderem Fragebögen und persönliche Gespräche mit auskunftsfähi- gen Personen wie Führungs- kräften, dem Betriebsrat, Kol- leginnen und Kollegen Wenn Beschäftigte berufsbedingt erkranken, können sie sich auf die Unterstützung der Unfallkassen verlassen. Der Wegfall des Unterlassungszwangs seit Januar 2021 erleichtert allen Seiten den Umgang mit Berufskrankheiten. VON JULIA FRESE

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