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Gefährdungsbeurteilung: Fundament der Prävention
Ins Gespräch kommen, um Gefährdungen zu ermitteln und Maßnahmen abzuleiten: Das ist für eine gute Gefährdungsbeur­teilung unabdingbar. © Getty Images/andresr

Arbeitssicherheit : Gefährdungsbeurteilung: Fundament der Prävention

Die Gefährdungsbeurteilung ist ein zentrales Instrument des Arbeitsschutzes. Meist steuern Führungskräfte den Prozess. Basiswissen und Praxistipps dafür gibt es hier.

Eine für alle, und zwar verpflichtend: Jedes Unternehmen und jede Einrichtung muss eine Gefährdungsbeurteilung erstellen – unabhängig von Branche oder Größe. So schreibt es das Arbeitsschutzgesetz vor. Für Führungskräfte, die zum ersten Mal in diesen Prozess eingebunden werden, kann das durchaus ­herausfordernd sein. Doch es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sich unterstützen zu lassen.

Klicktipps

Gefährdungsbeurteilung: Definition und Ziele

Die Gefährdungsbeurteilung ist ein mehrstufiger Prozess und Grundlage der betrieblichen Arbeitschutzorganisation. Ziel ist es, mögliche Gefährdungen für die Beschäftigten am Arbeitsplatz zu ­ermitteln, zu bewerten und daraus entsprechende Schutzmaßnahmen abzuleiten. Wichtig ist: Die jeweiligen Ge­fährdungen müssen für alle Tätigkeiten, Arbeitsmittel 
und ­Personen erfasst werden.

Grundsätzlich umfasst die Gefährdungsbeurteilung sieben Prozessschritte. Gefährdungsfaktoren sind beispielsweise: Gefährdungen durch Elektrizität, Risiken durch Gefahrstoffe, physische Faktoren durch erhöhte körperliche Belastung oder psychische Belastung. Je nach Arbeitsplatz können die Faktoren und deren Häufigkeit stark variieren.

Die sieben Schritte der ­Gefährdungsbeurteilung

  • Vorbereiten: Arbeitsbereiche und Tätigkeiten festlegen; rechtliche Informationen beschaffen.
  • Gefährdungen ermitteln: Etwa durch Begehungen, Risiko­analysen, Umfragen; Basis sind die Gefährdungsfaktoren.
  • Gefährdungen beurteilen: Rechtslage, Schadensausmaß und -wahrscheinlichkeit prüfen.
  • Schutzmaßnahmen ­festlegen: Gefährdungen vermeiden oder minimieren, nach dem STOP-Prinzip (Substitution vor technischen vor organisatorischen vor personenbezogenen Schutzmaßnahmen).
  • Maßnahmen umsetzen: Dafür verantwortliche Personen bestimmen und Fristen setzen.
  • Wirksamkeit prüfen: Zum Beispiel durch Beob­achtung, Messung oder Befragung. Wichtig: Manche Maßnahmen wirken erst langfristig.
  • Ergebnisse dokumentieren: Ergebnisse, Maßnahmen 
und Prüfungen müssen schriftlich ­dokumentiert sein.

Warum ist die Gefährdungsbeurteilung auch wirtschaftlich relevant?

„Viele Unternehmen in Deutschland führen die Gefährdungsbeurteilung nur unvollständig oder oft genug auch gar nicht durch“, sagt Dr. Markus Kohn, Hauptabteilung Sicherheit und Gesundheit (SiGe) der DGUV. Dabei sollten auch wirtschaftliche Faktoren Verantwortliche zum Umdenken motivieren.

„Es gibt Untersuchungen zum sogenannten ‚Return on Prevention‘, also zum ökonomischen Wert von Maßnahmen zu Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz. Demnach kann die Frage, ob sich Investitionen in diesem Bereich lohnen, praktisch immer mit ‚ja‘ beantwortet werden“, sagt Dr. Kohn. Denn jede gute Gefährdungsbeurteilung trägt dazu bei, Unfällen und berufsbedingten Erkrankungen vorzubeugen – und damit Arbeitsausfälle zu vermeiden.

Warum Prävention sich lohnt

Arbeitgebende sind gesetzlich dazu verpflichtet, sich ...

Wer ist für die Gefährdungsbeurteilung verantwortlich?

Verantwortlich sind immer die Arbeitgebenden. Sie können die Umsetzung aber delegieren. Oft übernehmen dann Führungskräfte der mittleren oder unteren Hierarchieebenen den Prozess – auch, weil sie nah dran sind an der operativen Arbeit und an den Beschäftigten in ihrem Team. „Arbeitgebende müssen aber sicherstellen, dass die Person für diese Aufgabe geeignet ist“, sagt Dr. Kohn. Führungskräfte müssen im Zweifel entsprechend geschult werden und sollten sich fachlich unterstützen lassen.

Wer kann dabei unterstützen?

Zentral ist der Input der Fachkraft für Arbeitssicherheit (Sifa), die Arbeitgebende zu allen Fragen rund um Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit berät und die jeweiligen rechtlichen Vorgaben kennt. Die Betriebsärztin oder der Betriebsarzt kann ebenfalls unterstützen.

Außerdem sollten Führungskräfte für die Erstellung der Gefährdungsbeurteilung unbedingt auch die Beschäftigten der jeweiligen Abteilung einbeziehen. „Ihre subjektiven Einschätzungen und Erfahrungen sind ganz zentral. Nur sie wissen, ob der Kollege zu laut telefoniert oder ob ihr Stuhl wackelt. Solche Details kann eine Sifa in der Regel nicht bewerten“, sagt der DGUV-Experte. „Zudem sendet man als Führungskraft damit ein Zeichen von Wertschätzung durch Beteiligung an sein Team.“

Beraten kann darüber hinaus auch die Aufsichtsperson des zuständigen Unfallversicherungsträgers. Diese stellen ihren Mitgliedern auch viele branchen­spezifische Handlungshilfen zur Verfügung. In großen Einrichtungen sind in der Regel viele verschiedene Führungskräfte und andere fachliche Akteurinnen und Akteure an den einzelnen Prozessschritten beteiligt. Damit alle Ergebnisse und Maßnahmen am Ende sinnvoll ineinandergreifen, ist der konstruktive Austausch unterei­nander ganz wichtig, so Dr. Kohn.

Tipp

Für den Austausch der Akteurinnen und Akteure eignen sich Formate wie Ideen-Treffen.

Gefährdungebeurteilung: Wie oft durchführen?

Die Gefährdungsbeurteilung müssen Einrichtungen anlassbezogen und regelmäßig durchführen. Anlassbezogen heißt: Bei jeder für den Arbeitsschutz relevanten Veränderung muss eine Gefährdungsbeurteilung überprüft oder neu durchgeführt werden.

Das können neue Arbeitsmittel, neue Räumlichkeiten oder neue Prozesse sein – etwa Regelungen zum Homeoffice oder vor der Einführung digitaler Tools. „Ändert sich im Arbeitsablauf nichts, sollte die Gefährdungsbeurteilung dennoch regelmäßig überprüft werden. Sofern durch spezielle Regelungen nicht anders gefordert, sollten zwei bis drei Jahre als Maßstab gelten“, sagt Dr. Kohn.

Bevor Führungskräfte mit der Gefährdungsbeurteilung betraut werden, sollten sie geschult werden. © DGUV/VBG

Wie wird eine Gefährdungsbeurteilung dokumentiert?

Auch bei diesem Prozessschritt haben Verantwortliche viel Spielraum. Ob in einer üppigen digitalen Tabelle oder handschriftlich im Ordner abgeheftet, erlaubt ist alles. Dazu Dr. Kohn: „Es muss lediglich sichergestellt sein, dass der Inhalt nachvollziehbar ist, auch für eine externe Prüfinstanz.“

Wie werden die Schutzmaßnahmen umgesetzt?

Im Idealfall werden aus den ermittelten Risiken Schutzmaßnahmen abgeleitet, die eine Gefährdung ausschließen – etwa indem ein Arbeitsmittel oder ein Gefahrstoff ersetzt wird. Hier gehen die Verantwortlichen nach dem STOP-Prinzip vor. Ist eine Substitution nicht möglich, gilt das TOP-Prinzip, das die Risiken vorrangig mit technischen Maßnahmen minimiert. Um die Schutzmaßnahmen zu etablieren, sind regelmäßige Unterweisungen der Beschäftigten Pflicht. Zudem sollten Führungskräfte nachfragen, ob neue Vorgaben verstanden wurden und umgesetzt werden.

Psychische Belastung ermitteln

Definition psychischer Belastung:

  • alle Einflüsse, die von ­außen auf Menschen einwirken und sie ­psychisch beein­flussen
  • zum Beispiel Arbeitsklima, Lärm, ­Arbeitszeiten

Psychische Belastung in der Gefährdungsbeurteilung erfassen:

  • Empfohlen werden sechs Kategorien: Arbeitsinhalte, Arbeitsorganisation, Arbeitsmittel, Arbeitsumgebung, Arbeitszeit, soziale Beziehungen
  • Die jeweiligen Belastungs­fak­toren sind individuell zu ­ermitteln.

Methoden zur Ermittlung ­psychischer Belastung:

  • Schritt 1: Anonyme Fragebögen, mit denen die Belastungsfaktoren abgefragt werden
  • Schritt 2: Im direkten Gespräch mit ­einzelnen (freiwilligen) ­Beschäftigten Details erfragen (etwa „Wie genau sehen die ­Arbeitsunterbrechungen aus?“). Nur so können indivi­duelle Schutzmaßnahmen ­abgeleitet werden.

Gefährdungsbeurteilung öffentlicher Dienst: Gibt es Besonderheiten zu beachten?

In den vergangenen Jahren ist psychische Belastung als Gefährdungsfaktor in den Fokus gerückt – auch im öffentlichen Dienst. Gründe sind unter anderem der Fachkräftemangel und die steigende Arbeitsintensität. 67 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst fühlen sich laut einer Umfrage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) aus dem Jahr 2018 durch die gleichzeitige Betreuung unterschiedlicher Aufgaben psychisch belastet. Auch das mediale Interesse an psychischer Gesundheit ist gestiegen.

Gleichzeitig gibt es in manchen Einrichtungen noch Unsicherheiten, wie sie das sensible Thema im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung umsetzen können. Hilfreich sind Fragebögen und Gesprächsformate. Grundsätzlich gilt es aber, für eine gute Gefährdungsbeurteilung den Rundumblick zu behalten, betont Dr. Kohn: „Allen Gefährdungsfaktoren sollte die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt werden. Physische Belastung kann im öffentlichen Dienst genauso relevant sein.“