Arbeitssicherheit : Gewalt am Arbeitsplatz verhindern
Der Betreiber einer Corona-Teststelle verschafft sich mithilfe falscher Angaben unerlaubt Zugang in ein Gebäude eines Gesundheitsamtes, um Beschäftigte zu beleidigen und zu beschimpfen. Was war passiert? Das Amt hatte am Vortag einige Teststellen der Stadt aufgrund von Mängeln geschlossen, darunter auch seine. Der Betreiber fühlte sich ungerecht behandelt und machte seinem Ärger auf solche Weise Luft.
Beschäftigte werden beleidigt und bedroht
Dieser Vorfall, der sich in einer deutschen Großstadt ereignete, ist eines von vielen Gewaltereignissen an Arbeitsplätzen des öffentlichen Dienstes. Betroffen sind zum Beispiel Beschäftigte in Jobcentern, Jugend- und Sozialämtern, aber auch des Rettungsdienstes, der Feuerwehr und Kommunalpolitik. Unzufriedenheit über die Gesetzgebung kann eine Motivation der Täterinnen oder Täter sein. Andere haben existenzielle Nöte.
„Viele unserer Kundinnen und Kunden wenden sich in einer großen Notlage an uns und brauchen ihre Leistungen so schnell wie möglich. Diesen Druck geben sie an unsere Beschäftigten weiter und überschreiten dabei manchmal eine Grenze. Es kann zu Beleidigungen und Bedrohungen kommen. Tätliche Angriffe sind bei uns jedoch Einzelfälle“, fasst Sven Slatosch, Leiter des Jobcenters München im Sozialbürgerhaus Mitte, die Situation zusammen.
Gewalt am Arbeitsplatz kann weitreichende Folgen haben
Fest steht: Jegliche Gewalthandlung belastet. Betroffene Beschäftigte sind zum Beispiel verunsichert, ziehen sich zurück, vermeiden Orte oder bestimmte Tätigkeiten. Hohe Fehlzeiten und eine verringerte Produktivität können daraus resultieren.
„In sehr schweren Fällen beobachten wir eine posttraumatische Belastungsstörung. Diese kann auch dazu führen, dass Betroffene nicht an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können “, erklärt Christian Pangert, Präventionsexperte der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG).
Solche Reaktionen sind bei Betroffenen selbst sowie bei Zeuginnen und Zeugen von Gewalttaten zu beobachten. „Eine Gewalttat kann sich auf die gesamte Organisation auswirken. Vielleicht gab es bereits ähnliche Vorfälle, aufgrund derer Beschäftigte vorbelastet sind. Ein weiterer Vorfall kann wie ein Trigger funktionieren und bewirken, dass psychische Folgen erst dann bahnbrechen.“
Hier weiterlesen
- Mehr zur psychologischen Erstbetreuung finden Sie bei der DGUV.
- Die Kampagne des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bietet weitere Informationen.
Ausgangspunkt der Gewaltprävention ist die Gefährdungsbeurteilung
Arbeitgebende müssen ihre Beschäftigten vor Angriffen und den negativen Folgen von Gewalt schützen. Grundlage für ein Sicherheitskonzept ist die Gefährdungsbeurteilung. Sie dokumentiert systematisch für jede Tätigkeit und jeden Arbeitsplatz, welche Formen der Gewalt drohen. Gibt es Einzelarbeitsplätze? Müssen Beschäftigte mit Geld umgehen? Machen sie Hausbesuche? Diese und weitere Risikofaktoren gilt es festzuhalten.
Anschließend werden Gegenmaßnahmen definiert. Die Vermeidung von Gefahrenquellen genießt dabei höchste Priorität. Ein Beispiel: Auf dem Schreibtisch sollten keine Gegenstände stehen, die als Waffe oder Wurfgeschoss dienen könnten.
Ebenfalls wichtig sind technische Maßnahmen. Dazu gehören Fluchttüren, Alarmierungssysteme – zum Beispiel durch Notknöpfe am Telefon – oder ein Zugangsberechtigungskonzept. „Niemand soll unbeobachtet herumlaufen und möglicherweise unseren Mitarbeitenden auflauern können. Dazu leiten wir Besucherinnen und Besucher gezielt von der Info-Theke zur beratenden Person“, erläutert Sven Slatosch.
Mitarbeitende regelmäßig schulen
Darüber hinaus gibt es organisatorische Maßnahmen. Viele von ihnen zielen darauf ab, den Amtsbesuch möglichst stressfrei zu gestalten. „Öffentliche Einrichtungen sollten die Kundenperspektive stärker berücksichtigen, zum Beispiel mit freundlichen Wartezonen und kurzen Wartezeiten. Dadurch gehen Kundinnen und Kunden gleich weniger angespannt in ein Beratungsgespräch. Auch Fehlbesuche sollten vermieden werden“, erklärt Christian Pangert.
Zur Gewaltprävention gehört auch die Qualifizierung der Beschäftigten. „Unsere Mitarbeitenden erhalten regelmäßig Schulungen in Gesprächstechnik. Sie lernen, wie sie sensible Situationen deeskalieren und selbst stets sachlich bleiben. Ebenfalls lernen sie, dass sie Aggressionen nicht aushalten müssen. Sie können Gespräche abbrechen“, sagt Sven Slatosch.
Klare Position gegen Gewalt
Wichtiges Zeichen sowohl in Richtung der Belegschaft als auch in Richtung Dritter ist eine kompromisslose Haltung gegen Gewalt. Führungskräfte sollten stets signalisieren, dass sie Gewalt nicht akzeptieren und Vorfälle nicht tatenlos hinnehmen. Konsequenzen können Hausverbote und das Erstatten von Strafanzeigen sein. Auch die Zusammenarbeit mit der Polizei ist empfehlenswert.
Doch trotz aller Maßnahmen sollten Ämter ihre zugewandte und offene Grundhaltung nicht verlieren. „Deswegen wägen wir immer wieder neu ab, wie sehr wir uns durch Sicherheitsbarrieren abgrenzen müssen und damit auch freundlichen Kundinnen und Kunden unterstellen, dass wir uns vor ihnen schützen müssten“, heißt es vonseiten der Bundesagentur für Arbeit. So sieht es auch Sven Slatosch: „Viele Kundinnen und Kunden bedanken sich und wertschätzen unsere Hilfe. Unsere Mitarbeitenden leisten absolut sinnvolle Arbeit, die sehr viel Spaß macht.“
So setzen sich Führungskräfte gegen Gewalt ein
- Grundsatzerklärung: Niemand muss Gewalt am Arbeitsplatz aushalten. Und jede Form von Gewalt hat Konsequenzen. Diese Haltung sollten Führungskräfte vertreten.
- Schulungen: Mit regelmäßigen Schulungen und Unterweisungen in Sicherheitsmaßnahmen gegen Gewalt bleibt das Thema präsent.
- Netzwerk pflegen: Führungskräfte können an externe Hilfsstellen verweisen, beispielsweise an die örtliche Opferhilfe.
- Arbeitsunfall anzeigen: Nach einer Gewalthandlung am Arbeitsplatz sollten Arbeitgebende die zuständigen Unfallversicherungsträger informieren.
- Psychologische Erstbetreuung: Betriebliche psychologische Erstbetreuende können nach belastenden Ereignissen erste Ansprechpersonen für Betroffene sein.