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Teilzeit in der Chefetage
Geteilte Führung, doppelte Power? Das kann durchaus funktionieren. © Getty Images/Akindo

Arbeitssicherheit : Teilzeit in der Chefetage

Das Konzept Top-Sharing ermöglicht Führung in Teilzeit: Zwei Leitungskräfte teilen sich eine Stelle. Wie das gelingt und warum es sich lohnt.
Portraitbild von Katharina Wiench und Esther Himmen.
Katharina Wiench und Esther Himmen von der Beratungsagentur „pairforming“ sind auf Top-Sharing spezialisierte Tandem-Coaches. © Tim Tichatzky für pairforming

Frau Himmen, Frau Wiench, welche Vorteile bietet das Top-Sharing für Führungskräfte?

Esther Himmen: Führungskräfte können so eine bessere Balance zwischen Privat- und Berufsleben finden. Denn besonders Führungspositionen sind heute häufig so komplex, dass 40 Stunden nicht reichen, um alle Aufgaben in einer Arbeitswoche abzuarbeiten. Überstunden sind an der Tagesordnung. Es bietet sich daher an, statt einer Führungsposition mit 100 Prozent zwei Stellen mit jeweils 60 Prozent oder mit einem Split von zum Beispiel 40 und 80 Prozent zu schaffen. Top-Sharing macht es möglich, die Arbeitszeit zu reduzieren und trotzdem Verantwortung zu übernehmen. Darüber hinaus beugt das Modell Burnout vor.

Wie das?

Katharina Wiench: Der Druck in Führungsebenen ist oft sehr groß. Viele Menschen im Top-Sharing schätzen es deshalb, die Verantwortung wichtiger Entscheidungen nicht allein tragen zu müssen. Sie können einfach die Bürotür schließen und offen mit ihrem Sharing-Kollegen oder ihrer Sharing-Kollegin sprechen. Das entlastet enorm.

Wie profitiert das Unternehmen?

Himmen: Häufig steigt im Top-Sharing die Qualität der Entscheidungen. Ganz einfach, weil die Führungskräfte ihre unterschiedlichen Perspektiven und Ideen vor einer wichtigen Entscheidung austauschen können. Dazu kommt, dass Führungskräfte dem Unternehmen oft dankbar sind, in diesem flexiblen Modell arbeiten zu können. Die Folge: Motivation und Bindung der Beschäftigten zum Unternehmen steigen. Das gilt auch für Mitarbeitende ohne Führungsaufgaben. Hier spricht man dann vom etwas bekannteren Job-Sharing.

Aber leidet nicht die Arbeitsgeschwindigkeit, wenn Führungskräfte und Beschäftigte stets im Doppelpack auftreten?

Himmen: Nicht immer agieren Tandems zu zweit – das wäre in der Tat ineffizient. Aber wir empfehlen, sogenannte Überlappungszeiten zu nutzen. In diesen Zeiten sind die Führungskräfte gemeinsam im Unternehmen, um sich auf den neuesten Stand zu bringen, gemeinsam auf strategische Entscheidungen zu schauen oder an wichtigen Projekten zu arbeiten. Denn zwei Köpfe bedeuten doppeltes Wissen und Erfahrung – sie bieten mehr als einer allein. Davon profitieren nicht nur die Vorgesetzten, sondern auch die Beschäftigten. Sie können von zwei Personen lernen. Wichtig ist hier allerdings, dass die Tandems immer transparent kommunizieren und zum Beispiel festlegen, wer wann arbeitet und wann es die wichtigen Überlappungszeiten gibt. Nur so ist dem Team klar, wer letztlich für sie ansprechbar ist.

Werden die Sharing-Angebote eher von Frauen oder von Männern angenommen?

Himmen: In der Praxis sind es noch etwas mehr Frauen als Männer. Das könnte unter anderem daran liegen, dass ein Großteil der Männer gar nicht weiß, dass es so etwas wie Top-Sharing auch für sie gibt. In einer unserer Studien zum Thema sagten deutlich mehr Männer als Frauen, dass sie noch nie etwas von Sharing-Modellen für Führungskräfte gehört haben. Aber das Interesse scheint bei beiden Geschlechtern sehr hoch zu sein – vor allem in der jüngeren Generation. Und wir beobachten, dass die Zahl der Menschen im Job-Sharing insgesamt deutlich zunimmt.

Wie wirkt sich Top-Sharing denn noch auf die Betriebe und Beschäftigten aus?

Himmen: Top-Sharing hat auf jeden Fall ein großes Potential in Sachen Diversität. Zunächst ist da die Chance, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Denn oft sind sie es, die zugunsten von Familie und Kindern auf Führungspositionen verzichten. Doch ein gelungenes Diversity-Management geht noch weiter. Es erreicht Menschen in verschiedenen Lebensphasen und mit unterschiedlichen Lebensaufgaben. Mit diesem Modell können sich etwa Personen mit pflegebedürftigen Angehörigen Führungspositionen erschließen, die für sie früher oft unerreichbar waren.

Sollten Führungskräfte im Job-Sharing möglichst verschieden sein oder wäre das eher ein Problem?

Wiench: Bei wichtigen Werten, wie zum Beispiel dem Menschenbild und dem Selbstverständnis als Führungskraft, sollte sich das Tandem einig sein. Auch bei den fachlichen Kompetenzen sind die Unterschiede im Idealfall möglichst nicht zu groß. Zudem braucht es eine gemeinsame Linie bei wichtigen Fragen zu Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz – etwa, welche Corona-Schutzmaßnahmen nötig sind, wenn Beschäftigte zurück an den Arbeitsplatz kehren. Aber gleichzeitig gilt: Je verschiedener die persönlichen Hintergründe, wie Geschlecht oder Alter, kultureller Hintergrund und gesprochene Sprachen, desto größer sind die Synergieeffekte der Tandems.

Interview: Martin Lechtape