
Führungskultur : Gemeinsam zu barrierefreien Lösungen
Manche Barrieren sind offensichtlich und werden doch erst als solche wahrgenommen, wenn Betroffene darauf hinweisen. Für Beschäftigte, die im Rollstuhl sitzen, kann es schon eine Herausforderung sein, zum Gebäude zu kommen und hinein. „Ideal wäre es sicherlich, wenn sich eine barrierefreie ÖPNV-Haltestelle vor dem Betriebsgebäude befindet, sodass Rollstuhl fahrende Personen auch mit dem öffentlichen Nahverkehr zur Arbeit kommen können“, sagt Jürgen Meß, Leiter des Sachgebiets Barrierefreie Arbeitsgestaltung der DGUV.
Bei Parkplätzen ausreichend Raum zum Ein- und Aussteigen lassen
Für Beschäftigte, die mit dem Pkw zur Arbeit fahren, gilt es, einen Stellplatz mit ausreichend Bewegungsraum und einem Schutz vor Witterung zur Verfügung zu stellen. Wie viel ausreichend ist, hängt von der Art und Weise des Aus- und Einsteigens in den Wagen ab. „Manche fahren ihren Pkw selbst, lagern ihren Rollstuhl auf dem Beifahrersitz oder auf dem Rücksitz“, erläutert Meß. „Manche heben ihn mit Körperkraft heraus, andere nutzen einen Kran. Wieder andere werden von einer Assistenzperson gefahren. Sie bleiben im Rollstuhl und verlassen den Wagen seitlich oder nach hinten per Lift oder Rampe.“
Das zeigt: Keine Mobilitätseinschränkung ist wie die andere, und jeder Mensch hat individuelle Bedürfnisse. Zwar werden im Arbeitsschutzgesetz unter den Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) die besonderen Anforderungen für Barrierefreiheit konkretisiert. Und wer ganze Gebäude umbaut oder neu baut, orientiert sich an der DIN 18040-1 zum barrierefreien Bauen. Aber Arbeitgebende können auch andere Lösungen wählen, wenn sie damit „mindestens die gleiche Sicherheit und den gleichen Schutz der Gesundheit für die Beschäftigten erreichen“, so steht es in den ASR.
Nicht alle baulichen Voraussetzungen müssen umgesetzt werden, um Personen mit Einschränkungen in die betrieblichen Arbeitsprozesse zu integrieren, betont Jürgen Meß. Es gehe ja in der Regel um konkrete Personen. „Hier sind die Führungskräfte gefragt, flexibel zu agieren, um einem Menschen mit Behinderung die Arbeit im Betrieb zu ermöglichen“, so Meß. „Der beste Weg wäre, gemeinsam mit dem Menschen, den ich einstellen möchte, eine gute Lösung zu finden.“
Gut zu wissen: Drei Tipps für Führungskräfte
1: Planen Sie gezielt und durchdacht, Menschen mit Einschränkungen zu beschäftigen. Machen Sie eine Begehung Ihres Betriebs und überlegen Sie, ob es möglich ist, ihn barrierefrei zu gestalten. Signalisieren Sie bereits im Bewerbungsprozess, dass Sie Inklusion unterstützen.
2: Sprechen Sie offen mit dem neuen Teammitglied über seine Bedürfnisse. Was braucht er oder sie im konkreten Arbeitsalltag? Wie wäre das umsetzbar?
3: Nehmen Sie das gesamte Team mit. Manche Menschen mit Behinderung benötigen mehr Platz, spezielle Arbeitsmittel oder sind anders leistungsfähig. Eventuell kann die Bundesagentur für Arbeit zum Ausgleich Eingliederungszuschüsse gewähren. Kommunizieren Sie transparent, um Gefühlen wie Neid oder Missgunst vorzubeugen.
Förderung: Für die Inklusion im Betrieb gibt es eine staatliche Förderung und Unterstützung bei der Umsetzung. Die Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA) der Länder helfen weiter. Sie beraten zum konkreten Fall, bei welchen Stellen welche Förderungen beantragt werden können.
Die Einheitlichen Ansprechstellen finden Sie auf der Website der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen.
Bei Personen, die auf einen Rollstuhl, einen Rollator oder auf ähnliche Hilfsmittel angewiesen sind, kommt es darauf an, dass sie ihren Arbeitsplatz erreichen und ihn barrierefrei nutzen können. Und dazu zählt auch der passende Zugang, sprich: die Tür. Hier sollten die Verantwortlichen auf gleichberechtigte Teilhabe achten, also Inklusion: „Die Rollstuhl fahrende Person soll, wie alle anderen auch, die Haupteingangstür nutzen können“, sagt Jürgen Meß. Ist der Eingang nicht ebenerdig, ermöglicht eine Rampe oder ein Treppenlift den Zugang.
Als Tür bietet sich eine elektrische, sogenannte kraftbetätigte Tür an, die entweder per Lichtschranke oder mit einem Taster geöffnet werden kann. Im Gebäude, bei leichten Türen, reicht in der Regel eine manuelle Bedienbarkeit aus. Auf Möbel direkt neben den Türen sollte verzichtet werden, erklärt Meß: „Rollstuhlfahrende benötigen eine ausreichende Bewegungsfläche auf beiden Seiten der Türen und neben der Tür, um die seitliche Anfahrbarkeit zu gewährleisten. Nur so kann die Tür selbstständig geöffnet werden.“

Ausreichend Platz in den Fluren und am Arbeitsplatz – das versteht sich von selbst. Arbeitsmittel, Schalter und Fenster müssen erreichbar und bedienbar, der Schreibtisch unterfahrbar sein. Höhenverstellbare Schreibtische, die an die individuelle Situation angepasst werden können, sind inzwischen vielerorts für alle Beschäftigten Standard.
Bei der Einrichtung einer barrierefreien Toilette gilt: „Bevor aufwendige Umbauten beauftragt werden, lässt sich mit dem oder der Mitarbeitenden besprechen, wie viel Platz sie eigentlich brauchen. Die Bedürfnisse sind da sehr unterschiedlich“, so Meß. Die Kantine, aber auch Gemeinschafts- oder Besprechungsräume müssen für Rollstuhl fahrende Personen barrierefrei und aus eigener Kraft erreichbar sein. Bei Meetings sollten Vorgesetzte darauf achten, dass alle sitzen, damit Kommunikation auf Augenhöhe stattfindet – im wörtlichen Sinn.
Ein wichtiger Aspekt ist die Vorsorge für den Fall einer Gebäudeevakuierung. Wichtig ist hier etwa, dass Fluchtwege frei von Schwellen und Barrieren sind. Im Falle einer Notsituation und bei Übungen „sind die Belange der Beschäftigten mit Behinderungen zu berücksichtigen“, heißt es in den Technischen Regeln für Arbeitsstätten ASR V3A 2. Rollstuhl fahrende Personen müssen eigenständig barrierefreie Fluchtwege und Notausgänge nutzen können. Fluchtwege müssen mindestens einen Meter breit sein. Muss man damit rechnen, dass eine Begegnung mit anderen Personen mit Behinderung stattfindet, müssen es mindestens 1,50 Meter sein.
Klicktipp:
Umsetzungshilfen liefert der Leitfaden Barrierefreie Arbeitsgestaltung – Teil II: Grundsätzliche Anforderungen.
Sind keine modernen Aufzüge oder gesicherte Bereiche vorhanden, die auch im Brandfall weiter genutzt werden können, können andere Maßnahmen wie beispielsweise Rettungs- oder Evakuierungsstühle eingesetzt werden. Für deren Einsatz müssen Personen benannt und entsprechend geschult werden, die im Gefahrenfall die Betroffenen begleiten oder ihnen behilflich sind.
Mit Betroffenen absprechen, welche Anforderungen erfüllt sein müssen
Wer einen oder einzelne Mitarbeitende mit Mobilitätseinschränkung beschäftigt, könne je nach Gebäudesituation viele der Anforderungen mit wenig Aufwand erfüllen, weiß Jürgen Meß aus Erfahrung. Manches könne zudem in Absprache mit dem oder der Betroffenen geregelt werden. „Meiner Erfahrung nach ist Barrierefreiheit im konkreten Fall häufig gar nicht so schwer umzusetzen“, sagt er. „Man muss sich einen Ruck geben und sich damit beschäftigen.“