Link to header
Arbeitsschutz nach Plan
Arbeitsschutz relevanten Abläufe und Zuständigkeiten. Auch Führungskräfte werden dadurch aktiv auf ihre Aufgaben hingewiesen. © Adobe Stock/Olivier Le Moal

Arbeitssicherheit : Arbeitsschutz nach Plan

Ein Arbeitsschutzmanagementsystem (AMS) hilft dabei, alle Abläufe im Arbeitsschutz zu steuern. Diese Vorteile haben AMS für Führungskräfte.

Wie sich Arbeitsschutz im ­Vollzuglichen Ar­beits­wesen gut um­setzen lässt, demonstriert die Justizvoll­zugs­anstalt (JVA) Ravensburg. Unweit vom Bodensee, im ­südlichen Oberschwaben, liegt die JVA mit rund 350 Inhaftierten. Etwa 290 von ­ihnen sind in einem der vielen ­anstaltsinternen Betriebe beschäftigt. Unter anderem gehören zur JVA eine Schlosserei, Schreinerei und Kfz-Werkstatt.

„Manche Gefangene arbeiten mit Gefahr­stoffen oder komplexen ­Maschinen, beispielsweise Format­kreis­sägen und Fräsen. Andere schweißen oder haben es mit spannungs­führenden ­Teilen zu tun“, erläutert ­Johann ­Kleinheinz, technischer Leiter im ­Vollzuglichen Arbeitswesen der JVA ­Ravensburg. Gefangenen während der Haft eine ­Arbeit anzubieten, sie aus oder weiterzubilden, gehört zu den wichtigsten Aufgaben einer JVA. Dadurch soll es Gefangenen nach der Haft leichter ­fallen, eine Erwerbstätigkeit aufzu­nehmen. Die Justizvollzugsgesetze der Bundesländer verpflichten Gefäng­nisse außerdem dazu, die Arbeitsplätze der Gefangenen sicher und gesundheitsgerecht zu gestalten.

Arbeitsschutz in einer Schreinerei ist komplex. Ein AMS unterstützt Führungskräfte dabei.
Innenansicht einer Schreinerei. Arbeitsmaschinen, Materialschränke und Werkbänke stehen entlang einer gelben Linie. © JVA Ravensburg

Spagat zwischen vollzuglicher Sicherheit und Arbeitsschutz meistern

Für den betrieblichen Arbeitsschutz bedeutet das, eine Vielzahl an Ar­beits­plätzen und Risiken zu berücksich­tigen. Arbeitsunfälle jeglicher Art – von Schnittverletzungen bis Strom­unfällen – müssen mithilfe von Schutz­maß­nahmen ebenso verhindert werden wie gesundheit­liche Folgen durch Lärm oder Schweißrauche. Die unterschiedlichen Risiken im Blick zu be­halten, ist aber nicht die einzige ­Herausforderung, die die JVA Ra­­vensburg im Vollzuglichen Arbeits­wesen meistern muss.

Immer wieder sind die für den Arbeitsschutz verantwortlichen Personen der JVA gefordert, kreative Lösungen zu ­finden, um einerseits den Arbeitsschutz vorschriftsmäßig umzusetzen und andererseits die Strafge­fangenen sicher unterzubringen. „Täglich müssen wir den Spagat ­zwischen vollzug­licher Sicherheit, Re­sozia­lisierungs­auftrag und Arbeitsschutz schaffen“, fasst es Kleinheinz zusammen. Um die Anforderungen besser zu koordi­nie­ren, regte er 2016 bei der Anstalts­leitung an, ein Arbeits­schutz­manage­ment­system (AMS) zu etablieren.

Bei der Etablierung des AMS in der JVA Ravensburg war Johann Kleinheinz, Technischer Leiter, Vollzugliches Arbeitswesen.
Johann Kleinheinz, Technischer Leiter, Vollzugliches Arbeitswesen, JVA Ravensburg © privat

Gut zu wissen

Was ist ein Arbeitsschutzmanagementsystem?

Managementsysteme gibt es 
für ver­schiedene Unternehmens­bereiche. Ein AMS steuert speziell den Arbeitsschutz. Es hilft Orga­nisationen dabei, Sicherheit und Gesundheit zu planen, regel­mäßig zu überprüfen sowie ­konti­nuierlich zu verbessern.

Wie ein Arbeitsschutzmanagementsystem im Betrieb einführen?

  • Ein AMS ist für jede Betriebs­größe geeignet. Je besser Orga­nisationen beim Arbeitsschutz aufgestellt sind, desto schneller lässt sich ein AMS etablieren. Sechs Monate sollten jedoch ­mindestens für die Einführung eingeplant werden.
  • Unfallversicherungsträger un­ter­stützen Unternehmen kostenfrei bei der Einführung von AMS, etwa durch Projektbegleitung, Schulungen und Audits. Interessierte Unternehmens­leitungen können direkt ihre Aufsichtsperson oder ­ihren Versicherungsträger auf AMS ansprechen.
  • Auf Wunsch können Ein­rich­tun­gen von ihrem Unfallver­siche­rungs­träger die Wirksamkeit ihres AMS über­prüfen lassen. Verläuft die Begutachtung ­positiv, erhält die Organisation das ­Gütesiegel „­Sicher mit System“.

Informationen und Unterlagen zum Arbeitsschutz zentral gespeichert

Mit einem AMS organisieren Unter­nehmen jegliche Strukturen und Prozesse, die den Arbeitsschutz betreffen, zum Beispiel den genauen Ablauf, wenn eine Gefähr­dungsbeurteilung erstellt oder aktualisiert werden muss. Wenn Unternehmen ein AMS einführen wollen, sollten sie auf ihren Unfallversicherungsträger zugehen. Diese geben Mitgliedsunternehmen bereits entwickelte und erprobte Systeme an die Hand und unterstützen bei der Etablierung eines AMS in die eigene Unternehmensstruktur.

Ein Arbeitsschutzmanagement legt unter anderem fest, wer für welche Aufgaben zuständig ist, und regelt damit eindeutig die Pflichtenüber­tragung im Arbeitsschutz, etwa auf Führungskräfte. Um solche Informationen transparent zugänglich zu machen, hat die JVA Ravensburg zudem alle ­Informationen zum AMS und Arbeitsschutz digital erfasst

Digitale Möglichkeiten noch stärker nutzen

Von Organigramm über Unterweisungsunter­lagen bis hin zu Gefahrstoffkatastern: Führungskräfte, Fachkräfte für Arbeits­sicherheit und andere Verantwortliche können Informationen über Arbeitsschutz jederzeit einsehen und nachvollziehen.

„Die Dokumente sind verschlagwortet, sodass es sehr einfach ist, zu einem bestimmten Thema zügig alle passenden Informationen zu ­finden“, erklärt Kleinheinz. Die digitalen Möglichkeiten noch stär­ker auszuschöpfen, hat sich die JVA Ravensburg für 2023 auf die Fahnen geschrieben. Statt die Gefährdungsbeurteilungen wie bislang anhand einer Vorlage mit einem Schreibprogramm zu erstellen, plant die Justizvollzugsanstalt, mit Unterstützung ihrer Unfallkasse künftig eine spezifische Software zu nutzen.

Standards für AMS

1. Nationaler Leitfaden für Arbeits­schutzmanagementsysteme

2. DGUV Grundsatz 311-002 „Arbeitsschutz­managementsysteme“.

Unterweisungen dank Arbeitsschutzmanagementsystem besser organisiert

Die JVA Ravensburg hat seit Ein­führung des AMS einiges erreicht, um die Häftlinge noch besser vor Arbeitsunfällen und beruflich bedingten Gesundheitsgefahren zu schützen. Dass In­formationen zum Arbeitsschutz ­einfacher zugänglich sind, ist eine Errungenschaft. Ebenfalls sind seitdem die Unterweisungen der Gefangenen ­besser organisiert. Jede Füh­rungskraft weiß nun genau, wann welche Unterweisung ansteht.

Auch hat die struk­turierte Erfassung der Unterweisungen Sprachbarrieren aufgedeckt. Um sicher­zustellen, dass alle Häftlinge ver­stehen, welche Maß­nahmen vor Arbeits­un­fällen schützen und welche gesund­heitlichen Risiken bei Missachtung bestehen, wurden ­beispielsweise Unter­weisungs­unter­la­gen in mehr als zwölf Sprachen übersetzt. Mitunter werden Arbeitsschutzhinweise zusätzlich in Video-Form vermittelt.

Verbesserungspotenziale immer im Blick

Ihre Pflichten im Gesundheitsschutz kann die JVA Ravensburg mithilfe des AMS ebenfalls besser erfüllen. „Die Themen, die für mich als Betriebsarzt relevant sind, werden durch ein AMS stärker vorangetrieben“, sagt Dr. ­Werner Winkler, der seit rund zehnn Jahren die JVA Ravensburg be­triebsärztlich betreut. Das AMS bewege die Führungskräfte fort­während dazu, den Status quo zu hinterfragen.

Dabei lege es sprichwörtlich den Finger in die Wunde und zeige, wo Verbes­serungs­bedarf bestehe, so Winkler. Dies ­mache sich bei der betriebsärzt­lichen Vor­sorge bemerkbar: Dadurch, dass das AMS Gefahrstoff- und Lärmkataster vorsieht, kann nun genau identifiziert werden, welche Häftlinge, die im Vollzuglichen Arbeitswesen beschäftigt sind, regelmäßig eine Pflicht­vorsorge benötigen.

Verbreitung von AMS in Deutschland*

Viele Unternehmen arbeiten bereits mit einem AMS.
AMS hat sich in staatlichen Unternehmen noch nicht etabliert. © Grafik: raufeld

Unfallkasse unterstützt bei der Einführung des AMS

Als Johann Kleinheinz, damals noch Fachkraft für Arbeitssicherheit, den Stein für ein AMS ins Rollen ­brachte, wurde er sowohl unter­nehmensintern als auch von der Unfallkasse Baden-Württemberg (UKBW) unterstützt. Die zuständige Aufsichts­­person begleitete den gesamten Prozess.

Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum AMS war ein Projektstrukturplan. Kleinheinz leg­te darin Arbeits­pakete, Ziele, Ter­mine und Verantwortlichkeiten für den ­Etablierungsprozess fest. Ein weiterer ­Meilenstein war der Handlungsleitfaden, der, angelehnt an den nationalen Leitfaden für AMS, die für die JVA ­Ravensburg spezifischen Abläufe und Verant­wortlich­kei­ten im Arbeitsschutz definiert. Sowohl der Projektstrukturplan als auch der Hand­lungs­leitfaden sind digital dokumentiert und für alle einsehbar.

Nachdem die UKBW das Arbeitsschutzmanagementsystem erfolgreich überwacht und dessen Wirk­samkeit geprüft hatte, erhielt das ­Vollzugliche Arbeitswesen der JVA ­Ravensburg 2017 die Urkunde „Ar­beits­schutz mit System“. Nicht ohne Stolz betont Kleinheinz, dass diese Zerti­fizierung ohne Fremdbetreuung durch kommerzielle Dienstleister erreicht wurde.

Argumente

Sechs gute Gründe für ein AMS:

  1. Gestaltet die Organisation von Arbeitsschutz trans­parent. ­Welche Abläufe gut funktionieren und an welcher Stelle nach­gebessert werden sollte, ist für Führungskräfte fortwährend ersichtlich.
  2. Verankert Arbeitsschutz­aufgaben im Alltag von Führungskräften.
  3. Hilft dabei, Arbeitsun­fällen vorzubeugen, den Gesundheitsschutz von Beschäftigten zu ver­bessern und Ausfallzeiten zu reduzieren.
  4. Eine sichere und gesunde Arbeitsumgebung fördert die Leistungsbereitschaft und Zufriedenheit von Beschäftigten und bindet sie an das Unter­nehmen.
  5. Trägt zu einem ­positiven Image der Einrichtung in der Öffentlichkeit bei und wirkt ­attraktiv auf ­potenzielle Mitarbeitende.
  6. Erhöht die Rechtssicherheit der Organisation: Führungskräfte und Leitung können sich sicher sein, ihre Pflichten beim Arbeitsschutz zu erfüllen.

Arbeitsschutz von Führungskräften besser wahrgenommen

Dass sich diese Anstrengung gelohnt hat, davon sind die Beteiligten überzeugt. Auch Dirk Schulz, der heute als Fachkraft für Arbeitssicherheit im Vollzug­lichen Arbeitswesen der JVA Ravensburg tätig ist: „Wir sind froh, dass ein AMS vorhanden ist, um den unterschiedlichen Anforderungen gerecht werden zu können. Die Auf­gaben einer Justizvollzugsanstalt sind mit ­einem AMS definitiv besser um­setz­bar.“

Kleinheinz fügt hinzu: „Das AMS hat wesentlich dazu beigetragen, die Führungsaufgabe Arbeitsschutz bei unseren Führungskräften zu ver­­ankern. Die Aufgaben sind jetzt jedem klar.“ Das Arbeitsschutzmanagementsystem sorgte dafür, dass ­Führungskräfte Arbeitsschutz­belange als Kernprozesse erkennen und leben.