Arbeitssicherheit : Arbeitsschutz nach Plan
Wie sich Arbeitsschutz im Vollzuglichen Arbeitswesen gut umsetzen lässt, demonstriert die Justizvollzugsanstalt (JVA) Ravensburg. Unweit vom Bodensee, im südlichen Oberschwaben, liegt die JVA mit rund 350 Inhaftierten. Etwa 290 von ihnen sind in einem der vielen anstaltsinternen Betriebe beschäftigt. Unter anderem gehören zur JVA eine Schlosserei, Schreinerei und Kfz-Werkstatt.
„Manche Gefangene arbeiten mit Gefahrstoffen oder komplexen Maschinen, beispielsweise Formatkreissägen und Fräsen. Andere schweißen oder haben es mit spannungsführenden Teilen zu tun“, erläutert Johann Kleinheinz, technischer Leiter im Vollzuglichen Arbeitswesen der JVA Ravensburg. Gefangenen während der Haft eine Arbeit anzubieten, sie aus oder weiterzubilden, gehört zu den wichtigsten Aufgaben einer JVA. Dadurch soll es Gefangenen nach der Haft leichter fallen, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Die Justizvollzugsgesetze der Bundesländer verpflichten Gefängnisse außerdem dazu, die Arbeitsplätze der Gefangenen sicher und gesundheitsgerecht zu gestalten.
Spagat zwischen vollzuglicher Sicherheit und Arbeitsschutz meistern
Für den betrieblichen Arbeitsschutz bedeutet das, eine Vielzahl an Arbeitsplätzen und Risiken zu berücksichtigen. Arbeitsunfälle jeglicher Art – von Schnittverletzungen bis Stromunfällen – müssen mithilfe von Schutzmaßnahmen ebenso verhindert werden wie gesundheitliche Folgen durch Lärm oder Schweißrauche. Die unterschiedlichen Risiken im Blick zu behalten, ist aber nicht die einzige Herausforderung, die die JVA Ravensburg im Vollzuglichen Arbeitswesen meistern muss.
Immer wieder sind die für den Arbeitsschutz verantwortlichen Personen der JVA gefordert, kreative Lösungen zu finden, um einerseits den Arbeitsschutz vorschriftsmäßig umzusetzen und andererseits die Strafgefangenen sicher unterzubringen. „Täglich müssen wir den Spagat zwischen vollzuglicher Sicherheit, Resozialisierungsauftrag und Arbeitsschutz schaffen“, fasst es Kleinheinz zusammen. Um die Anforderungen besser zu koordinieren, regte er 2016 bei der Anstaltsleitung an, ein Arbeitsschutzmanagementsystem (AMS) zu etablieren.
Gut zu wissen
Was ist ein Arbeitsschutzmanagementsystem?
Managementsysteme gibt es für verschiedene Unternehmensbereiche. Ein AMS steuert speziell den Arbeitsschutz. Es hilft Organisationen dabei, Sicherheit und Gesundheit zu planen, regelmäßig zu überprüfen sowie kontinuierlich zu verbessern.
Wie ein Arbeitsschutzmanagementsystem im Betrieb einführen?
- Ein AMS ist für jede Betriebsgröße geeignet. Je besser Organisationen beim Arbeitsschutz aufgestellt sind, desto schneller lässt sich ein AMS etablieren. Sechs Monate sollten jedoch mindestens für die Einführung eingeplant werden.
- Unfallversicherungsträger unterstützen Unternehmen kostenfrei bei der Einführung von AMS, etwa durch Projektbegleitung, Schulungen und Audits. Interessierte Unternehmensleitungen können direkt ihre Aufsichtsperson oder ihren Versicherungsträger auf AMS ansprechen.
- Auf Wunsch können Einrichtungen von ihrem Unfallversicherungsträger die Wirksamkeit ihres AMS überprüfen lassen. Verläuft die Begutachtung positiv, erhält die Organisation das Gütesiegel „Sicher mit System“.
Informationen und Unterlagen zum Arbeitsschutz zentral gespeichert
Mit einem AMS organisieren Unternehmen jegliche Strukturen und Prozesse, die den Arbeitsschutz betreffen, zum Beispiel den genauen Ablauf, wenn eine Gefährdungsbeurteilung erstellt oder aktualisiert werden muss. Wenn Unternehmen ein AMS einführen wollen, sollten sie auf ihren Unfallversicherungsträger zugehen. Diese geben Mitgliedsunternehmen bereits entwickelte und erprobte Systeme an die Hand und unterstützen bei der Etablierung eines AMS in die eigene Unternehmensstruktur.
Ein Arbeitsschutzmanagement legt unter anderem fest, wer für welche Aufgaben zuständig ist, und regelt damit eindeutig die Pflichtenübertragung im Arbeitsschutz, etwa auf Führungskräfte. Um solche Informationen transparent zugänglich zu machen, hat die JVA Ravensburg zudem alle Informationen zum AMS und Arbeitsschutz digital erfasst
Digitale Möglichkeiten noch stärker nutzen
Von Organigramm über Unterweisungsunterlagen bis hin zu Gefahrstoffkatastern: Führungskräfte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit und andere Verantwortliche können Informationen über Arbeitsschutz jederzeit einsehen und nachvollziehen.
„Die Dokumente sind verschlagwortet, sodass es sehr einfach ist, zu einem bestimmten Thema zügig alle passenden Informationen zu finden“, erklärt Kleinheinz. Die digitalen Möglichkeiten noch stärker auszuschöpfen, hat sich die JVA Ravensburg für 2023 auf die Fahnen geschrieben. Statt die Gefährdungsbeurteilungen wie bislang anhand einer Vorlage mit einem Schreibprogramm zu erstellen, plant die Justizvollzugsanstalt, mit Unterstützung ihrer Unfallkasse künftig eine spezifische Software zu nutzen.
Standards für AMS
1. Nationaler Leitfaden für Arbeitsschutzmanagementsysteme
2. DGUV Grundsatz 311-002 „Arbeitsschutzmanagementsysteme“.
Unterweisungen dank Arbeitsschutzmanagementsystem besser organisiert
Die JVA Ravensburg hat seit Einführung des AMS einiges erreicht, um die Häftlinge noch besser vor Arbeitsunfällen und beruflich bedingten Gesundheitsgefahren zu schützen. Dass Informationen zum Arbeitsschutz einfacher zugänglich sind, ist eine Errungenschaft. Ebenfalls sind seitdem die Unterweisungen der Gefangenen besser organisiert. Jede Führungskraft weiß nun genau, wann welche Unterweisung ansteht.
Auch hat die strukturierte Erfassung der Unterweisungen Sprachbarrieren aufgedeckt. Um sicherzustellen, dass alle Häftlinge verstehen, welche Maßnahmen vor Arbeitsunfällen schützen und welche gesundheitlichen Risiken bei Missachtung bestehen, wurden beispielsweise Unterweisungsunterlagen in mehr als zwölf Sprachen übersetzt. Mitunter werden Arbeitsschutzhinweise zusätzlich in Video-Form vermittelt.
Verbesserungspotenziale immer im Blick
Ihre Pflichten im Gesundheitsschutz kann die JVA Ravensburg mithilfe des AMS ebenfalls besser erfüllen. „Die Themen, die für mich als Betriebsarzt relevant sind, werden durch ein AMS stärker vorangetrieben“, sagt Dr. Werner Winkler, der seit rund zehnn Jahren die JVA Ravensburg betriebsärztlich betreut. Das AMS bewege die Führungskräfte fortwährend dazu, den Status quo zu hinterfragen.
Dabei lege es sprichwörtlich den Finger in die Wunde und zeige, wo Verbesserungsbedarf bestehe, so Winkler. Dies mache sich bei der betriebsärztlichen Vorsorge bemerkbar: Dadurch, dass das AMS Gefahrstoff- und Lärmkataster vorsieht, kann nun genau identifiziert werden, welche Häftlinge, die im Vollzuglichen Arbeitswesen beschäftigt sind, regelmäßig eine Pflichtvorsorge benötigen.
Verbreitung von AMS in Deutschland*
Unfallkasse unterstützt bei der Einführung des AMS
Als Johann Kleinheinz, damals noch Fachkraft für Arbeitssicherheit, den Stein für ein AMS ins Rollen brachte, wurde er sowohl unternehmensintern als auch von der Unfallkasse Baden-Württemberg (UKBW) unterstützt. Die zuständige Aufsichtsperson begleitete den gesamten Prozess.
Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum AMS war ein Projektstrukturplan. Kleinheinz legte darin Arbeitspakete, Ziele, Termine und Verantwortlichkeiten für den Etablierungsprozess fest. Ein weiterer Meilenstein war der Handlungsleitfaden, der, angelehnt an den nationalen Leitfaden für AMS, die für die JVA Ravensburg spezifischen Abläufe und Verantwortlichkeiten im Arbeitsschutz definiert. Sowohl der Projektstrukturplan als auch der Handlungsleitfaden sind digital dokumentiert und für alle einsehbar.
Nachdem die UKBW das Arbeitsschutzmanagementsystem erfolgreich überwacht und dessen Wirksamkeit geprüft hatte, erhielt das Vollzugliche Arbeitswesen der JVA Ravensburg 2017 die Urkunde „Arbeitsschutz mit System“. Nicht ohne Stolz betont Kleinheinz, dass diese Zertifizierung ohne Fremdbetreuung durch kommerzielle Dienstleister erreicht wurde.
Argumente
Sechs gute Gründe für ein AMS:
- Gestaltet die Organisation von Arbeitsschutz transparent. Welche Abläufe gut funktionieren und an welcher Stelle nachgebessert werden sollte, ist für Führungskräfte fortwährend ersichtlich.
- Verankert Arbeitsschutzaufgaben im Alltag von Führungskräften.
- Hilft dabei, Arbeitsunfällen vorzubeugen, den Gesundheitsschutz von Beschäftigten zu verbessern und Ausfallzeiten zu reduzieren.
- Eine sichere und gesunde Arbeitsumgebung fördert die Leistungsbereitschaft und Zufriedenheit von Beschäftigten und bindet sie an das Unternehmen.
- Trägt zu einem positiven Image der Einrichtung in der Öffentlichkeit bei und wirkt attraktiv auf potenzielle Mitarbeitende.
- Erhöht die Rechtssicherheit der Organisation: Führungskräfte und Leitung können sich sicher sein, ihre Pflichten beim Arbeitsschutz zu erfüllen.
Arbeitsschutz von Führungskräften besser wahrgenommen
Dass sich diese Anstrengung gelohnt hat, davon sind die Beteiligten überzeugt. Auch Dirk Schulz, der heute als Fachkraft für Arbeitssicherheit im Vollzuglichen Arbeitswesen der JVA Ravensburg tätig ist: „Wir sind froh, dass ein AMS vorhanden ist, um den unterschiedlichen Anforderungen gerecht werden zu können. Die Aufgaben einer Justizvollzugsanstalt sind mit einem AMS definitiv besser umsetzbar.“
Kleinheinz fügt hinzu: „Das AMS hat wesentlich dazu beigetragen, die Führungsaufgabe Arbeitsschutz bei unseren Führungskräften zu verankern. Die Aufgaben sind jetzt jedem klar.“ Das Arbeitsschutzmanagementsystem sorgte dafür, dass Führungskräfte Arbeitsschutzbelange als Kernprozesse erkennen und leben.