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Inklusionsaktivist Raúl Krauthausen: Arbeitsplätze gezielt anpassen ist möglich!
Stellenausschreibungen beinhalten oft veraltete oder überflüssige Anforderungen, die Menschen mit Behinderung abschrecken. Führungskräfte sollten darauf ein Auge haben. © raul.de

Führungskultur : Inklusionsaktivist Raúl Krauthausen: Arbeitsplätze gezielt anpassen ist möglich!

Wollen Arbeitgebende die Teilhabe von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt wirklich verbessern, müssen sie aktiv werden, so Inklusionsaktivist Raúl Krauthausen.

Strukturelle Hürden erschweren Maßnahmen für die Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung – sowohl im gesellschaftlichen Leben als auch in der Arbeitswelt, weiß Aktivist und Autor Raúl Krauthausen. Deshalb sollten Unternehmen und Führungskräfte selbst aktiv werden.

Herr Krauthausen, was meint Inklusion im Arbeitskontext für Sie?

Inklusion bedeutet allgemein erst mal, dass wir Menschen in ihrer Verschiedenartigkeit anerkennen und die Umwelt so gestalten, dass jede und jeder sich entfalten kann. Im Arbeitskontext braucht es dafür ein barrierefreies Arbeitsumfeld, Flexibilität etwa bei Arbeitszeiten und Aufgabenverteilung und keine Vorurteile von Kolleginnen und Kollegen oder gar Führungskräften. Dabei hilft übrigens, Führungskräfte mit Behinderung aktiv nach vorn treten zu lassen. Erstens gibt es sie öfter, als man denkt, und zweitens helfen Rolemodels egal in welchem Kontext, damit sich andere vorstellen können, wie etwas funktioniert.

Ihr Verein „Sozialheld*innen“ berät Unternehmen zu Inklusionsthemen. Was ist die häufigste Frage?

Warum sich kaum Menschen mit Behinderung bewerben, obwohl laut Stellenausschreibungen ihre Bewerbung doch explizit gewünscht sei. In vielen Ausschreibungen stehen aber einzelne – oft veraltete oder überflüssige – Anforderungen, die Menschen mit Behinderung abschrecken. Mir hat etwa eine Frau berichtet, sie habe eine Ausbildung zur Informatikkauffrau machen wollen, aber weil sie laut Ausbildungsprofil bei der Arbeit schwere Computer transportieren müsse, was wegen ihrer Herzerkrankung nicht geht, hatte sie Bedenken. Sie hat die Ausbildung trotzdem gemacht – und nicht einen einzigen Computer tragen müssen. Obwohl sie also für 90 Prozent der Anforderungen hervorragend ausgebildet war, hätte sie dieser eine Aspekt fast von einer Berufsausbildung abgehalten.

Portrait des Autoren und Aktivisten Raul Krauthausen. Er trägt eine graue Kappe und eine schwarzgerahmte Brille.
Krauthausen ist Inklusionsaktivist, Autor, Moderator und Speaker und setzt sich seit über 20 Jahren für die Belange behinderter Menschen ein. © raul.de

 

Ändert es also nichts an der Situation, dass Arbeitgebende in Ausschreibungen formulieren, dass behinderte Menschen bei gleicher Eignung bevorzugt werden?

Das ist meist nur eine Floskel. In der Praxis schreiben behinderte Menschen oft hunderte Bewerbungen, werden aber selbst dann nicht eingeladen, wenn in der Ausschreibung steht, bei gleicher Eignung würden Menschen mit Behinderung bevorzugt. Denn in Personalabteilungen herrscht öfter mal eine unbewusste Voreingenommenheit. Unbewusst fällt dann aus Angst vor Bürokratie, vor Mehrarbeit, vor dem Neuen doch die Entscheidung eher gegen die Bewerbungen von Menschen mit Behinderung.

Wie ließe sich das ändern und was können Führungskräfte tun?

Führungskräfte sollten für diesen „unconscious bias“, also eine unbewusste und unbeabsichtigte Voreingenommenheit, sensibilisieren. Sie sollten aufmerksam sein und für Anpassungen in den entsprechenden Abteilungen sorgen. Ausschreibungen sollten überdacht und so formuliert werden, dass Interessierte erkennen: Anpassungen sind möglich. Für eine den Rollstuhl nutzende IT-lerin kann sicher jemand das Equipment transportieren. Für einen blinden Radiosprecher gibt es entsprechende Programme. Zudem sind digitale Bewerbungsabläufe mit automatisierten Eingabe- und Uploadmasken oft nicht barrierefrei. Alternative Wege anzubieten, per Telefon oder Termin vor Ort, ist aber gar nicht so schwer. Und wenn Führungskräfte Inklusion wirklich wollen, sollten sie auch aktiv auf Mitarbeitendensuche gehen.

Wie und wo zum Beispiel?

Etwa in Berufsbildungswerken. Dort lernen Menschen mit Behinderung Ausbildungsberufe, von Bürokaufleuten über Grafikdesignerinnen, Landschaftsgärtnern oder Informatikerinnen ist alles dabei. Auch Universitäten bieten sich natürlich an. Wir bei „Sozialheld*innen“ holen auch Leute aus Werkstätten für behinderte Menschen und stellen sie bei uns an.

Der Aktivist und Buchautor Raúl Krauthausen sitzt in seinem Rollstuhl in einer Fußgängerzone. Er trägt eine gelbe Hose, ein lilanes Hemd, eine graue Kappe und eine Brille.
Seit über 20 Jahren setzt sich Krauthausen als Aktivist, Autor, Moderator und Speaker für die Belange behinderter Menschen ein. © raul.de

 

Manche Führungskräfte haben Bedenken, dass behinderte Mitarbeitende zusätzliche Arbeit bedeuten. Was entgegnen Sie?

Um die erste Person mit Behinderung anzustellen, mag das sein, aber Studien belegen: Folgende Schritte werden organisatorisch leichter und bedingen sich gegenseitig, zahlen auf weitere Inklusionsmaßnahmen ein. Außerdem zerdenken wir Dinge auch schnell, anstatt einfach mal den ersten Schritt zu gehen. Aktive Führungskräfte ermutigen bestenfalls auch Mitarbeitende, die ihre Behinderung bisher nicht kommuniziert haben, sich zu zeigen. Schon haben wir mehr Rolemodels.

Ich möchte auch daran erinnern, dass behinderte Menschen in Sachen Organisation und kreative Lösungen anderen oft einen Schritt voraus sind. Denn häufig verlangen Behinderungen ein alltägliches Aufgaben- und Herausforderungsmanagement. Diese Kompetenzen wünscht sich doch jede Führungskraft im Team.

Im öffentlichen Dienst erfüllen laut Bundesagentur für Arbeit mehr Arbeitgebende die gesetzlich vorgeschriebene 5-Prozent-Quote schwerbehinderter Beschäftigter als private Arbeitgebende. Trotzdem ist noch Luft nach oben. Haben Sie Tipps zur Stärkung von Inklusion in der öffentlichen Verwaltung?

Erst mal bin ich der Meinung, die Ausgleichsabgabe bei Nichterfüllung der Quote sollte angehoben werden – egal ob im öffentlichen Dienst oder in der freien Wirtschaft. Es muss kostengünstiger sein, jemanden zu beschäftigen, als die Abgabe zu bezahlen.

Mein Tipp ist: Zeigen, was bereits für mehr Inklusion und Teilhabe gemacht wurde. Stichwort Rolemodels. Es gibt bereits Mitarbeitende mit einer Behinderung? Warum nicht ein Interview mit ihnen auf der Website veröffentlichen? Aktiv in der Stellenausschreibung angeben, dass sowohl Bewerbungsabläufe als auch Arbeitsplätze anpassbar sind? Je größer ein Unternehmen, desto einfacher meist auch das Anpassen solcher Prozesse und Strukturen für inklusive Maßnahmen. Kleine und mittelständische Unternehmen in der freien Wirtschaft habe es da meist etwas schwerer. Und ja, die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam – dafür kennen sich Unternehmen aus dem öffentlichen Dienst eventuell besser mit behördlichen und bürokratischen Vorgehensweisen aus und sollten wohl auch als gutes Beispiel vorangehen, wenn sie für das Funktionieren von gesellschaftlichen Prozessen zuständig sind.

Leichte Sprache für mehr Inklusion

Leichte Sprache macht Inhalte für Menschen ...

Die meisten Behinderungen entstehen im Laufe des Lebens durch Krankheit oder Unfall. Haben inklusive Arbeitsplätze also nicht auch einen Präventionsnutzen im Sinne des Arbeitsschutzes?

Auch das hängt zusammen, ja. Ich weiß von Unternehmen, die intern Bilanz gezogen haben, wie viele Mitarbeitende aufgrund des fortgeschrittenen Alters eine Behinderung haben. Das waren einige. Das führte erstens dazu, dass Maßnahmen ergriffen wurden, um Arbeitsplätze und Arbeitsmittel ergonomischer zu gestalten, zweitens Aufmerksamkeit geschaffen wurde etwa für Krankheiten wie Diabetes. Und wieder: Ein aufmerksamer Blick der Unternehmensführung kann dazu beitragen, dass sich die Belegschaft stärker gesehen fühlt – und sich eventuell Menschen mit Behinderung trauen, diese preiszugeben.