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Ein Plädoyer fürs Grenzensetzen
Bis hierhin und nicht weiter! Den Satz müssen manche Führungskräfte noch lernen © raufeld

Kolumne : Ein Plädoyer fürs Grenzensetzen

Beschäftigte wertschätzen – das ist zweifellos wichtig. Doch wer unter dem Deckmantel des achtsamen Führens alles durchgehen lässt, bekommt Probleme.

Alle paar Jahre gibt es heiße Trends in der Managementwelt: gesundheitsorientiertes Führen, achtsames Führen, wertschätzendes Führen, agiles Führen, Führen mithilfe von Pferden, Hunden, Delfinen – bisher noch nicht mit Katzen. Wurde als unmöglich angesehen. Sollte ich je in dieser Kolumne einen dieser Trends empfehlen, schreiben Sie der Redaktion bitte entschiedene Protestmails. Um nicht zu nölig zu klingen, gebe ich gern zu, dass all diese Impulse durch die Seminarlandschaft mäandern. Geld und Zeit dafür haben oft Großorganisationen.

Imke König ist Diplom-Psychologin, Psychotherapeutin und Coach. In ihrer top eins-Kolumne gibt sie Führungskräften Tipps für eine ausgewogene Work-Life-Balance und effizientes Stressmanagement, Illustration: Raufeld Medien
Imke König ist Diplom-Psychologin, Psychotherapeutin und Coachin. In ihrer top eins-Kolumne gibt sie Tipps für den Führungsalltag und berichtet von ihren Beobachtungen aus der wilden Arbeitswelt. © raufeld

Am anderen Ende der Skala, und leider oft in der Verwaltung, begegnen mir hingegen immer noch Führungskräfte, die, wenn sie ihre Funktion übernehmen, keinerlei systematische Führungskräfteentwicklung erlebt haben. Sie haben nie das Grundhandwerkszeug, wie Kritikgespräch, Jahresgespräch und Arbeitsrecht, an die Hand bekommen. „Ich mache das aus dem Bauch heraus“, heißt es dann. Häufig klappt das sicherlich. Bauchgefühl ist auch Gehirnleistung. Als solches wird im Volksmund das riesige, nicht bewusst zugängliche Wissen bezeichnet. Auch Erfahrungswissen und der gesunde Menschenverstand fließen mit ein.

Führungskräfte nicht mehr in der Lage, Grenzen zu setzen

All das führt aber dazu, dass Führungskräfte verunsichert sind. Vor lauter wertschätzendem, achtsamem, mitarbeiterorientiertem Führen sehen sie sich nicht mehr in der Lage, Grenzen zu setzen. Da ich mich beruflich sehr viel mit psychischen Krisen und Auffälligkeiten sowie mit ihrem Umgang bei der Arbeit beschäftige, möchte ich drei Leitsätze dazu veröffentlichen:

  1. Der Arbeitsplatz ist keine Reha-­Klinik und der oder die Beschäftigte kein Pa­tient und keine Patientin.
  2. Die Führungskraft ist kein Therapeut und keine Therapeutin.
  3. Kritikgespräche sind normal und Beschäftigte nehmen sie, wenn korrekt ausgeführt, als wertschätzend wahr.

Arbeitsrechtliche Probleme erkennen

Was ich unter Verunsicherung ­verstehe? Fragen wie „Meine Mitarbeiterin kommt immer wieder zu spät, was soll ich tun?“ (keine Gleitzeit!) oder „Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Auszubildenden sind mehrfach zu spät eingegangen. Wie bringe ich ihn dazu, das zu ändern?“. Bei Fragen dieser Art kann ich nur antworten: Das ist kein psychologisches Problem, es ist ein arbeitsrechtliches. Arbeitsvertragliche Pflichten, Mitwirkungspflicht, Hausrecht – all das sind Stichwörter, die in das Arbeitsgebiet von Juristinnen und Juristen gehören und nicht in meines.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) hat uns viel gelehrt. Wir haben erkannt, dass betriebliche Angebote wichtig sind. Wichtig ist aber auch: Was kannst du als ­Beschäftigte oder Beschäftigter dafür tun, hier wieder einzusteigen? Und die im Arbeitskontext legitime Ansage: Bis hierhin und nicht weiter.