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Gute Frage: Was ist eigentlich auffällig?
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Kolumne : Gute Frage: Was ist eigentlich auffällig?

Wenn etwas optisch oder im Verhalten von Beschäftigten hervorsticht, kann es sein, dass Führungskräfte eingreifen müssen. Nur wann genau?

Einer der interessantesten Momente meiner Fortbildungs­tätigkeit ist der Moment, wenn ich im Seminar zu Auffälligkeiten die Frage stelle: Was ist denn überhaupt auffällig? Es geht mir darum, zu erfahren, wie man damit im Arbeitskontext rollengerecht umgehen kann.

Auf diese hochspannende Frage erhalte ich je nach Arbeitskontext und Organisation und Branche sehr unterschiedliche Antworten. In einer Gewerkschaft kam als erste Antwort wie aus der Pistole geschossen: „Wenn der Kollege mit dem Arm alles vom Tisch fegt, Monitor, Tastatur, Laptop, Lampe.“ Da blieb wenig Spielraum für Diskussion, ob das nun auffällig sei – das fanden alle Anwesenden äußerst auffällig. Beruhigend, wenn es solchen Konsens noch gibt.

Imke König ist Diplom-Psychologin, Psychotherapeutin und Coach. In ihrer top eins-Kolumne gibt sie Führungskräften Tipps für eine ausgewogene Work-Life-Balance und effizientes Stressmanagement, Illustration: Raufeld Medien
Imke König ist Diplom-Psychologin, Psychotherapeutin und Coachin. In ihrer top eins-Kolumne gibt sie Tipps für den Führungsalltag und berichtet von ihren Beobachtungen aus der wilden Arbeitswelt. © raufeld

Fällt eine kurze Hose schon aus der Reihe?

Ein Beispiel für Dissens oder „Ja-Nein-Vielleicht“-Abwägen wäre hingegen das Tragen kurzer Hosen bei der Arbeit oder das Tragen eines Unterhemdes auf dem Büroflur. Ich arbeite just mit einer geplagten Teamleitung, die im Hinblick aufs Unterhemd-Tragen lange Diskussionen führen muss, ob das nun angemessen sei oder ein Verbot die Freiheit des Arbeitnehmers einschränkt (in diesem Fall männlich), obwohl sich mehrere Kolleginnen davon gestört fühlten.

Der Unterhemd-Träger jedoch ist gekränkt ob dieser Bitte, sich komplett gekleidet auf dem Flur zu zeigen. Zum Kränkungspotenzial aber mehr in einer folgenden Kolumne.

Auf dem Hof der kommunalen Müllabfuhr jedenfalls sind Unterhemden im Sommer durchaus normal, sowohl als Gruppennorm als auch arbeitskulturell. In einer Situation mit Kundenkontakt oder in Bürofluren wohl größtenteils nicht.

Persönlicher Geschmack nicht ausschlaggebend

Vor einigen Jahren wurde ich mit der Frage konfrontiert, ob denn ein schwarzes, raumgreifendes Spinnennetz-Tattoo auf dem Hals der Mitarbeiterin auffällig sei und man als Arbeitgeberin berechtigt sei, dies kritisch anzusprechen. Die Antwort darauf passt zu jeder Frage, was bei der Arbeit als zu auffällig angesprochen werden darf: Es geht nicht um Geschmack und Meinung von ­Ihnen als Führungskraft.

Entscheidend ist, ob diese Auffälligkeit, optisch oder im Verhalten, zu relevanten störenden Auswirkungen führt, die Ihren Verantwortungsbereich als Führungskraft ­tangiert. In diesem Fall waren die Kinder, die von der Mitarbeiterin beaufsichtigt wurden, von dem Tattoo verängstigt. Damit war es legitim, diesen Halsschmuck kritisch anzusprechen und auf eine Änderung hinzuwirken.

Trends kommen und gehen

Zum Schluss noch ein weiterer Aspekt von Auffälligkeiten: die kulturelle gesellschaftliche Norm, die darüber mitbestimmt. Ich brachte das Spinnennetz-Tattoo-Beispiel kürzlich in einer mittelgroßen Stadt Norddeutschlands – doch hier konnte es niemanden beeindrucken.

„Finden Sie das Tattoo als Arbeitgebende auffällig?“ Nach kurzer Diskussion war man sich einig: So ­etwas erschreckt heute kein Kind mehr. „Da hat ja die eigene Mutti mehr Tattoos!“ und „Das sind die Kinder längst gewohnt“. So können Auffälligkeiten auch quasi aus der Mode kommen. Ich freue mich schon auf die kommenden Jahre!