Kolumne : Kulturen und Wertschätzung
Eine Familienfeier führte mich kürzlich nach Lateinamerika. Ich war noch nie dort gewesen, stand also in den fremden Städten und Orten häufig unwissend im Weg herum und stotterte, der Sprache nicht mächtig, reichlich fehlerhaft herum.
So gut wie alle Einheimischen und Menschen aus den umgrenzenden Ländern begegneten mir trotzdem wunderbar freundlich: Man suchte Augenkontakt, und ich wurde sehr oft angelächelt. In einer Siebenmillionenstadt rief man uns, einer mit reichlich Koffern herumratternden Reisegruppe, „Bienvenidos!“ zu und ging um uns herum, wenn wir wieder mal im Weg standen. Ich vermisse vor allem das Angelächeltwerden.
Das Leid mit den Leitbildern
Das alles bewegt mich aber vor allem vor dem Hintergrund eines Anliegens des Geschäftsführers eines Kommunalunternehmens im hohen Norden unseres Landes. Wie könne man das Arbeitsklima verbessern? Ihm sei kurze Zeit nach seinem Wechsel dorthin aufgefallen, dass sich dort niemand grüße, Hallo sage und Mitarbeitende nicht vertrauensvoll mit Führungskräften sprechen könnten. Geburtstage, Jubiläen – nichts davon werde gemeinsam gefeiert, es werde nicht einmal dazu gratuliert. Grundsätzlich herrsche eher Unzufriedenheit und es gebe keine richtige Wertschätzung untereinander.
Er selbst habe schon die Entlohnung erhöhen können und Gratulationen zu Firmenjubiläen eingeführt. Beides nicht trivial, wie ich finde. Nun möchte er Unterstützung dabei, das Arbeitsklima weiter zu verbessern. Solle man vielleicht ein Leitbild entwickeln? Ich habe leider seit meiner Tätigkeit in einem Großunternehmen eine schwere Allergie gegen Leitbilder – die Wände hingen voll davon mit wirklich sehr schönen Sätzen und Bildern. Das war’s dann auch.
Wertschätzung, aber in welcher Form?
Das Fehlen von Wertschätzung wird in den vergangenen zwei bis drei Jahren auch epidemisch erwähnt. Ich frage mich jedes Mal, was die Klageführenden denn als Wertschätzung empfinden? Geld, ein warmer Händedruck, warme Worte? Blumen, Raucherinseln, Bonuszahlungen? Wie viel Wertschätzung ist man mir auf der Arbeit schuldig und in welcher Form?
Empfindet das nicht jeder und jede anders, inwiefern sie sich bei der Arbeit wertgeschätzt fühlen? Auch abhängig von der eigenen Persönlichkeit und Geschichte? Und welche Geschichte mag dieses Unternehmen über Jahre hinter sich haben, welche Führungskräfte haben dort diese Kultur geprägt, dass es so weit gekommen ist?
Mit einem Lächeln beginnen
Ich habe als Beraterin vor allem eins gelernt: Ich weiß zunächst nicht, was die Ursache sein könnte, und weiß erst recht nicht gleich, wie es besser werden könnte. Aber ich kann fragen, fragen, fragen – und zuhören. Ich nenne das die demütige Haltung in der Beratung. Sie gilt auch in der Gesprächsführung. Hüten Sie sich vor „Na klar, ich weiß schon, was hier hilft und fehlt!“, erst recht bei Ihren Beraterinnen und Beratern.
Das werden wir im Norden tun – fragen und zuhören. Im Übrigen ist das für mich eine der wichtigsten Formen der Anerkennung und Wertschätzung. Vor allem werde ich auf südamerikanische Art lächeln, was das Zeug hält. Jemand muss ja anfangen – warum nicht Sie und ich?