Arbeitssicherheit : Wenn die Aufsichtsperson vor der Tür steht
Nach welchen Kriterien werden Unternehmen ausgewählt? Wie läuft eine Betriebsbesichtigung ab, was passiert danach – und welche Aufgaben haben Führungskräfte dabei? Dr. Roland Portuné aus der Hauptabteilung Prävention der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) gibt Antworten.
Herr Dr. Portuné, aus welchem Grund machen die Unfallversicherungsträger regelmäßig Betriebsbesichtigungen?
Die gesetzliche Unfallversicherung hat den Auftrag aus dem Sozialgesetzbuch VII, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren mit allen geeigneten Mitteln zu verhindern und für eine wirksame Erste Hilfe zu sorgen. Überwachung und Beratung sind zentrale Elemente, um diesen Auftrag umzusetzen. Im SGB VII § 17 werden sie explizit gefordert. Sie bilden die Grundlage für die Tätigkeit der Präventionsdienste und sind auch ein „Türöffner“ zu den Betrieben und Einrichtungen. Ziel der Betriebsbesichtigungen ist es, Sicherheit und Gesundheit der versicherten Personen zu gewährleisten und die Unternehmen bei ihren entsprechenden Verpflichtungen zu unterstützen. Überwachung ist also immer eng mit Beratung verbunden sowie mit weiteren Präventionsleistungen wie zum Beispiel Qualifizierungsmaßnahmen. Diese bieten die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen den Betrieben bedarfsorientiert an.
Kommen die Unfallversicherungsträger immer unangekündigt oder mit Ankündigung?
Sowohl als auch. Sinnvoll ist eine Kombination aus beidem. Bei angekündigten Besichtigungen kann im Vorfeld sichergestellt werden, dass wichtige Ansprechpersonen auch tatsächlich vor Ort sind. Das hilft zum Beispiel bei der Klärung, wie die Organisation von Sicherheit und Gesundheit sowie die Beurteilung der Arbeitsbedingungen gewährleistet werden. Hingegen können Beschwerden zum Beispiel von Betriebs- oder Personalrat der Auslöser für einen unangekündigten Besuch sein. Viele Besichtigungen ohne vorherige Terminvereinbarung sind aber auch das Ergebnis von datenbasierten Risikobetrachtungen zu Unternehmen, Wirtschaftszweigen oder spezifischen Arbeitsstätten. Sind Betriebe statistisch auffällig, werden sie gezielt überwacht und beraten. Sind sie bei der Besichtigung auffällig, orientieren sich Überwachung und Beratung an der vor Ort angetroffenen Situation.
Nach welchen Kriterien werden Betriebe ausgewählt und wie kann man sich das technisch vorstellen?
Die Vernetzung verschiedener Bereiche ermöglicht es den Unfallversicherungsträgern, statistische Kennzahlen zusammenzuführen. Das können zum Beispiel Daten zu Entschädigungsleistungen oder über das Unfall- und Berufskrankheitengeschehen sein. So bekommt der Unfallversicherungsträger Hinweise zu branchen- und betriebsspezifischen Gefährdungsschwerpunkten. Algorithmen übernehmen das händische Zusammenführen und Interpretieren der Kennzahlen. Ein trainierter Algorithmus kann zum Beispiel auf der Basis von über 100 Merkmalen die Wahrscheinlichkeit für bevorstehende Arbeitsunfälle in Betrieben einer bestimmten Größe abschätzen. Um die Prognosen abzusichern, werden historische Muster und Zusammenhänge gesucht und erkannt. Mit Hilfe von KI können künftig einzelne Betriebe auf einer größeren Datenbasis und damit verlässlicher identifiziert werden.
Was passiert bei einer Betriebsbesichtigung? Was prüfen die Aufsichtspersonen, und wie läuft so ein Termin ab?
Ganz allgemein gesprochen wird bei einer Betriebsbesichtigung überprüft, ob die durch den Betrieb getroffenen Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren ausreichend und wirksam sind. Dabei wird auch geschaut, ob die Erste Hilfe im Betrieb zuverlässig geregelt ist. Eine solche Betriebsbesichtigung beginnt üblicherweise mit einem Einführungsgespräch, in dem sich die Aufsichtsperson wichtige Unterlagen wie die Gefährdungsbeurteilung zeigen lässt oder mit den hierfür Verantwortlichen die betriebliche Arbeitsschutzorganisation bespricht. Danach folgt die Begehung der Betriebsstätte oder von ausgewählten Betriebsteilen. Dabei verschafft sich die Aufsichtsperson einen Überblick über die betriebliche Situation, indem sie Arbeitsmittel, Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufe stichprobenartig betrachtet und diese im Hinblick auf die Sicherheit und die Gesundheit der dort arbeitenden Menschen bewertet.
Klicktipps
Mit Hilfe von Ideen-Treffen Gefährdungsbeurteilungen mitarbeitendenorientiert gestalten
Weitere Informationen der DGUV zu Betriebsbesichtigungen der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen
Wenn sich die Unfallversicherungsträger anmelden, wie können sich Betriebe auf den Termin vorbereiten?
Unabhängig von einer Betriebsbesichtigung sollten Unternehmen wichtige Unterlagen prinzipiell gut geordnet verfügbar haben. Spätestens mit dem Besuch der Aufsichtsperson müssen diese griffbereit sein. In einem Kleinbetrieb kann das der ein Ordner „Arbeitsschutz“ sein, in dem insbesondere die betriebliche Gefährdungsbeurteilung, die Unterweisungsnachweise aber auch weitere Unterlagen z. B. zur Prüfung der elektrischen Anlagen und Betriebsmittel oder ein Gefahrstoffverzeichnis dokumentiert sind. Im größeren Betrieb kommen weitere Unterlagen hinzu, z. B. zur sicherheitstechnischen und arbeitsmedizinischen Betreuung, zur Bestellung und Ausbildung von betrieblichen Ersthelfenden und Sicherheitsbeauftragten oder zur „Übertragung von Unternehmerpflichten“, also zur Aufgabenübertragung im Arbeitsschutz. Außerdem sollte die angemessene Beteiligung sichergestellt sein: Die betriebliche Interessenvertretung, die für sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Beratung zuständigen Personen sowie die betrieblichen Sicherheitsbeauftragten sollten bei der Betriebsbesichtigung der Aufsichtsperson mit dabei sein können.
Welche konkreten Aufgaben haben Führungskräfte bei der Vorbereitung und Durchführung einer Betriebsbesichtigung?
Führungskräfte tragen generell Verantwortung für Sicherheit und Gesundheit im Betrieb. Das ist im Arbeitsschutzgesetz, SGB VII und DGUV Vorschrift 1 klar geregelt. Je mehr sie dieser Verantwortung gerecht werden, umso besser sind sie auf die Betriebsbesichtigung vorbereitet. Führungsverantwortung bedeutet, die erforderlichen Maßnahmen für Sicherheit und Gesundheit zu treffen, also zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren. Um zu wissen, was das im jeweiligen Betrieb konkret beinhaltet, sind die Arbeitsbedingungen zu beurteilen im Hinblick auf Gefährdungen für Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten. Darauf aufbauend sind angemessene Maßnahmen abzuleiten und umzusetzen. Dieses Vorgehen wird auch Gefährdungsbeurteilung genannt. Genau danach wird so gut wie jede Aufsichtsperson fragen. Führungskräfte, die den Prozess der Gefährdungsbeurteilung angestoßen oder sich hierbei auch beteiligt haben, sind dadurch sehr gut aufgestellt – sowohl im Hinblick auf ihre Führungsverantwortung als auch für die Betriebsbesichtigung durch die Aufsichtsperson. Alles weitere lässt sich daraus ableiten.
Können Sie das aus der Sicht einer Führungskraft „auf den Punkt bringen“?
Habe ich mich als Führungskraft damit beschäftigt, welche Gefährdungen für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit bestehen und passende Maßnahmen hierfür abgeleitet, habe ich den wichtigen ersten Schritt getan. Natürlich muss das alles auch umgesetzt werden. Am besten ist es, ich beteilige meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei und nutze deren Erfahrungen – z. B. mithilfe des DGUV Ideen-Treffens, einer systematischen Methode für kontinuierliche Verbesserungsprozesse. Sodann muss ich das mir anvertraute Team entsprechend unterweisen. Auch danach wird die Aufsichtsperson so gut wie immer fragen und sich Belege vorlegen lassen. Schließlich sollte ich als Führungskraft dafür sorgen, dass die Erste Hilfe funktioniert – also genügend Ersthelfende ausgebildet und anwesend sind. Ein funktionierender Brandschutz inklusive Notfall- bzw. Evakuierungsplänen sollte auch vorhanden und belegbar sein. Entsprechende Unterlagen sollten im Rahmen der Betriebsbesichtigung griffbereit vorliegen. Beim Rundgang der Aufsichtsperson sollten in den jeweiligen Bereichen jeweils verantwortliche Führungspersonen mitgehen und der Aufsichtsperson Rede und Antwort stehen können. Als Führungskraft kann ich zudem die Chance nutzen und die Aufsichtsperson alles fragen, was ich zum Thema Sicherheit und Gesundheit wissen möchte.
Weiß die Unternehmensführung danach, wie sie weiter vorgehen muss?
Direkt auf die Begehung folgt das Abschlussgespräch, ein wichtiger Bestandteil des Termins. Dabei wird gemeinsam mit den betrieblichen Verantwortlichen besprochen, welche Maßnahmen getroffen werden können oder müssen, um Sicherheit und Gesundheit im Betrieb zu optimieren. Insbesondere natürlich, welche vorgefundenen Mängel beseitigt werden müssen. Übergeordnetes Ziel ist die betriebliche Weiterentwicklung für eine möglichst nachhaltige Verbesserung des Arbeitsschutzes im Betrieb.
Wie geht es nach der Betriebsbesichtigung weiter? Was ist Aufgabe der Führungskräfte, was liegt bei der Unternehmensführung?
Nach der Betriebsbesichtigung müssen die sichtbar gewordenen Mängel adäquat behoben werden. Die Betriebe müssen angemessen auf die Feststellungen und Angebote der Aufsichtsperson reagieren, die diese im Rahmen ihrer Beratung vor Ort gemacht hat.
Zumeist wird die Aufsichtsperson die Mängel in einem Besichtigungsbericht zusammenstellen. Dieser geht in der Regel an die Unternehmensleitung des Standorts oder an die Behördenleitung. Üblicherweise benennt der Bericht Arbeitsschutzmängel und gibt Hinweise, welche Maßnahmen erforderlich sind, um die Mängel zu beheben. Letzten Endes geht es dabei um die Optimierung des Betriebs. Durch das erfolgreiche Ausschalten von Störfaktoren werden Benefits in vielfacher Hinsicht erzielt. Bei allen diesen Aufgaben müssen nahezu ausnahmslos die jeweiligen Führungskräfte die hierfür notwendigen Prozesse anstoßen und die erfolgreiche Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen gewährleisten. Üblicherweise setzt die Aufsichtsperson eine Frist und verlangt nach einer gewissen Zeit – zum Beispiel nach drei Monaten – einen Bericht über den Stand der Maßnahmenumsetzung. Dafür müssen die Führungskräfte der Unternehmensleitung entsprechende Informationen aus den von ihnen verantworteten Bereichen übermitteln. Die Rückmeldungen werden gesammelt und der Aufsichtsperson und damit dem Unfallversicherungsträger geschickt. In manchen Fällen führt die Aufsichtsperson nach einem angemessenen Zeitintervall eine Nachbesichtigung durch. Ein gänzlich anderer Fall ist es, wenn Gefahr im Verzug ist – in solchen Fällen muss natürlich sofort gehandelt werden.
Welche weiteren Ergebnisse kann der Besichtigungstermin haben - neben der von der Aufsichtsperson geforderten Mängelbeseitigung?
Häufig empfiehlt die Aufsichtsperson weitere Unterstützungsleistungen, die durch den Unfallversicherungsträger erbracht werden können. In der Folge ist dann zu organisieren, wie solche Angebote genutzt werden können. Also zum Beispiel wann genau welche Personen bestimmte Seminare der Berufsgenossenschaft oder der Unfallkasse absolvieren können. Weiterhin werden oft auch vertiefende Beratungsangebote durch den zuständigen Unfallversicherungsträger gemacht – zum Beispiel zur Frage der Integration psychischer Belastung in die Gefährdungsbeurteilung. Auch hierzu müssen von betrieblicher Seite die notwendigen Prozesse angestoßen werden, um die vertiefende Beratung auch erfolgreich nutzen zu können. Schließlich gibt es vielfältige Anreizsysteme, die von den gesetzlichen Unfallversicherungsträgern angeboten werden. Aufsichtspersonen weisen im Rahmen der Betriebsbesichtigung üblicherweise auf solche Angebote hin, von denen Betriebe oft stark profitieren können.
Können Sie weiter ausführen, wie Betriebe und Einrichtungen auch nach einer Betriebsbesichtigung von dem Termin profitieren können?
Zunächst optimieren sie ihren Betrieb und ihre Arbeitsprozesse, wenn sie die Mängel abstellen. Die weiteren Angebote können zusätzlichen Nutzen mit sich bringen. Zum Beispiel bei den Anreizsystemen, wenn besondere Bemühungen der Betriebe um Sicherheit und Gesundheit oder auch Verdienste der Beschäftigten durch monetäre und/oder nicht monetäre Zuwendungen belohnt werden können. Dazu die möglichen Qualifizierungsveranstaltungen wie Seminare, Fachtagungen oder die Übernahme von Kosten für Fahrsicherheitstrainings bis hin zu Messungen oder vertiefenden Beratungsleistungen durch Spezialistinnen und Spezialisten, – das ist schon sehr vielseitig, wie Betriebe profitieren können. Natürlich wird auch die Aufsichtsperson weiterhin ansprechbar bleiben, wenn sich aus Sicht des Betriebs weiterer Beratungsbedarf abzeichnet.