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Stark im Amt: „Jede Morddrohung ist eine zu viel“
Amtstragende sind oft von Beleidigungen, Bedrohungen oder tätlichen Angriffen betroffen. © Adobe Stock/pressmaster

Arbeitssicherheit : Stark im Amt: „Jede Morddrohung ist eine zu viel“

Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker sind besonders häufig das Ziel von Gewalt. Wie das Portal „Stark im Amt“ Amtstragende unterstützt.

Es reicht von Beleidigungen und Sachbeschädigungen bis hin zu tätlichen Angriffen: Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker sind oft von Hass und Gewalt betroffen. Das Portal „Stark im Amt“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, Politikerinnen und Politiker im Kampf gegen die Anfeindungen zu unterstützen – etwa durch präventive Tipps, Fallbeispiele oder konkrete Anlaufstellen.

Wir sprechen mit Katrin Klubert, Programmleiterin im Team Kommune und Resilienz der Körber-Stiftung. Die Stiftung stellt sich sowohl mit nationalen als auch internationalen Projekten aktuellen Herausforderungen in den Bereichen Innovation, internationaler Verständigung und lebendiger Bürgergesellschaft.

Porträt von Katrin Klubert. Sie lächelt und hat lange, rötliche Haare.
Katrin Klubert ist Programmleiterin im Team Kommune und Resilienz der Körber-Stiftung. © Claudia Höhne

 

Frau Klubert, wie entstand die Idee für das Portal „Stark im Amt“? Und wer steht dahinter?

Als 2019 der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke ermordet wurde, wussten wir, dass es so nicht weitergehen darf. Im darauffolgenden Jahr waren Bedrohungen und Anfeindungen gegenüber Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern ein großes Thema. Viele haben sich in dieser Zeit alleingelassen gefühlt. Auch in unseren Netzwerken hörten wir immer wieder: Der Ton wird rauer. Gemeinsam mit dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen Landkreistag und dem Deutschen Städte- und Gemeindebund entwickelten wir daher das Onlineportal „Stark im Amt“, das unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten eröffnet wurde. Es sollte eine Lotsenfunktion für Betroffene bieten und gleichzeitig Handlungsempfehlungen bündeln.

Beraten hat uns dabei intensiv das Deutsche Forum Kriminalprävention. Gleichzeitig gaben wir, die Körber-Stiftung, eine Forsa-Umfrage in Auftrag. Das Ergebnis war besorgniserregend: 57 Prozent der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister gaben in der Befragung 2021 an, dass sie Beleidigungen, Bedrohungen oder tätlichen Angriffen ausgesetzt sind. Mittlerweile werden dazu alle sechs Monate Daten im Rahmen des Kommunalen Monitorings (KoMo) in einem Projekt der Spitzenverbände und des Bundeskriminalamts (BKA) erhoben.

Warum ist es Ihnen so wichtig, gegen Hass und Gewalt gegenüber Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern vorzugehen?

Wir finden, dass jede Anfeindung und jede Morddrohung eine zu viel ist. Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker setzen sich auf erster Ebene des Staates ein. Sie übernehmen Verantwortung und müssen vor Ort Lösungen für teilweise große gesellschaftliche Themen finden, zum Beispiel zur Energiewende oder zur Unterbringung von Geflüchteten. Dabei exponieren sie sich und treten als Konfliktvermittlerinnen und Konfliktvermittler auf, haben aber gleichzeitig sehr wenig Schutz – anders als Landes- oder Bundespolitikerinnen und -politiker. Dabei ist es eine Gefahr für die Demokratie, wenn sie sich wegen Anfeindungen nicht mehr frei äußern können oder sich deswegen sogar ganz aus der Politik zurückziehen. Auch wirkt das Amt dadurch wenig attraktiv.

Aus welchen Gründen sind Politikerinnen und Politiker überhaupt so oft von Gewalt betroffen?

Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker werden von vielen als Stellvertretende der höheren Ebenen wahrgenommen. Darum geraten sie auch häufig in symbolische Ordnungskämpfe. Oft verschärft sich daher die Problemlage bei Themen, die auch auf der Bundesebene eine Rolle spielen. Beispielweise gab es 2016 im Zuge der Frage der Fluchtbewegung oder auch später während der Corona-Pandemie eine große Welle an Anfeindungen. Außerdem sind sie oft die erste Ansprechperson vor Ort, weshalb sich bei ihnen auch viel entlädt.

Welche konkreten Hilfestellungen bieten Sie Betroffenen auf dem Portal „Stark im Amt“? 

Betroffene finden auf der Seite viele Fallbeispiele zu den verschiedensten Bedrohungssituationen, anhand derer sie sich informieren und vorbereiten können. Wir geben auch konkrete Verhaltenstipps und zeigen, welche Handlungsoptionen es gibt. Auf dem Portal finden Betroffene zudem eine Liste mit passenden Unterstützerorganisationen und Ansprechstellen von Sicherheitsbehörden und Justiz in den Ländern. Im Laufe des Jahres wird „Stark im Amt“ um die „Starke Stelle“ ergänzt. Unter einer zentralen Telefonnummer soll es dann Beratung und Verweis zur jeweils passendsten Stelle geben.

Welche verschiedenen Formen von Gewalt gibt es? Und tritt eine Form dabei besonders häufig bei Ihrer Zielgruppe auf?  

Es reicht von Beleidigungen auf der Straße oder per Mail, öffentlichen Hasskommentaren im Netz, Drohmails oder -anrufen bis hin zu Steinwürfen durchs Fenster. Ich glaube, am häufigsten sind direkte Hassnachrichten, weil dort die Hemmschwelle am niedrigsten ist. Die sozialen Medien haben die Hassdynamiken nochmal verstärkt. Es kommt dort teilweise zu orchestrierten Angriffen, die sich konzentriert gegen eine Person richten.

Wie viele Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker waren schon einmal von Gewalt betroffen? Haben Sie dazu konkrete Zahlen?

Die Ergebnisse der Herbstbefragung 2023 im Rahmen des Kommunalen Monitorings zeigen: 38 Prozent der Befragten haben zwischen Mai und Oktober 2023 Anfeindungen erlebt. 72 Prozent davon verbale und schriftliche Gewalt, 2 Prozent sogar tätliche Übergriffe.

Welche Folgen kann Gewalt, auch rein verbale, für die Gesundheit haben?

Trotz des dicken Felles, das sich viele Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker mit der Zeit zulegen, ist jede Form von Gewalt auf Dauer sehr belastend. Körperliche als auch verbale Gewalt kann die psychische Gesundheit sehr beeinträchtigen und beispielsweise zu Schlafstörungen führen. Wenn Betroffene keine Unterstützung erfahren und keinen Weg finden, mit der belastenden Situation umzugehen, kann es sein, dass sie sich nicht nur aus der Politik zurückziehen, sondern sich auch sozial isolieren. Die Zahlen zeigen: 83 Prozent der Betroffenen leiden aufgrund der Anfeindungen unter psychischen oder physischen Folgen.

Gibt es präventive Maßnahmen, die Politikerinnen und Politiker selbst treffen können, um sich und Mitarbeitende zu schützen und für eine sichere Arbeitsumgebung zu sorgen? 

Wir haben auf „Stark im Amt“ Broschüren und Leitfäden verlinkt, die zeigen, was zu tun ist. Es sollte in der Verwaltung zunächst eine Kultur etabliert werden, in der offen über alle Vorfälle gesprochen wird. Politikerinnen und Politiker können ihren Mitarbeitenden Rückendeckung garantieren, wenn diese in unsichere Situationen geraten. Auch sollten alle darin geschult werden, wie sie deeskalierend mit Konflikten umgehen können. Wichtig ist auch, dass sie Konfliktsituationen dokumentieren, damit ein Gesamtbild der Lage entwickelt werden kann. Es ist auch sinnvoll, gemeinsam Sicherheitspläne für verschiedene Eskalationsstufen abzustimmen. Und auch außerhalb der Arbeit sollten sich alle sicher fühlen. Wir haben auf unserem Portal ein Fallbeispiel dazu, wie der Wohnort sicherer gestaltet werden kann.

Was würden sie jenen raten, deren Familie direkt bedroht wird? Wenn sie zum Beispiel zu Hause aufgesucht werden und Sachbeschädigung erfahren?

Akut sollten sie sich an die Polizei wenden und unbedingt Anzeige erstatten. Gegebenenfalls sollten Sie darauf bestehen, dort eine direkte Ansprechperson für weitere Vorfälle und auch zur Beratung zu haben. Darüber hinaus sollten Betroffene in den sozialen Medien vorsichtig sein und zum Beispiel nicht ihren aktuellen Aufenthaltsort teilen. Neben einer sicheren Wohnausstattung ist es auch wichtig, mit der Familie über die Situation zu sprechen.

Haben Sie Tipps, wie Betroffene in einem akuten Fall verbaler Gewalt reagieren können? Beispielsweise, wenn sie bei einer öffentlichen Rede angefeindet werden? 

Auch dazu haben wir auf unserer Seite ein Fallbeispiel. Zunächst ist es wichtig, mit den Veranstaltenden in Kontakt zu sein und mit diesen auch mögliche Szenarien durchzusprechen. Zum Beispiel: Wer reagiert wann und wie? Kommt es zu verbaler Gewalt, gilt es, zunächst die Ruhe zu bewahren und auf Distanz zu bleiben. Auf keinen Fall auf jede Provokation eingehen. In jeder Bedrohungssituation ist es hilfreich, sich zu vernetzen, Unterstützende zu suchen und nicht allein zu bleiben. Gleichzeitig gilt für alle Mitbürgerinnen und Mitbürger: Es ist wichtig, sich zu solidarisieren und rote Linien zu ziehen, um die gemeinsame Diskussionskultur zu schützen.