Link to header
Beschäftigte mit psychischer Erkrankung: So handeln Führungskräfte richtig
Führungskräfte sollten Beschäftigten in psychischen Nöten das Gefühl geben, nicht allein damit zu sein. © Getty Images/Mindful Media

Führungskultur : Beschäftigte mit psychischer Erkrankung: So handeln Führungskräfte richtig

Die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen steigt rapide. Die Stadtverwaltung Köln nutzt eine Kooperation, um ihre Beschäftigten zu unterstützen.

Wenn es bei Psychologin Ruth Flier an der Tür klopft, weiß sie: Die Person, die gleich ihr Dienstzimmer betritt, hat sehr wahrscheinlich ein Problem. Wie schwerwiegend dieses Problem ist, kann die Leiterin des Mitarbeitendenunterstützungsteams (MUT) der Stadt Köln vor dem Termin oft nur erahnen.

Manchmal reicht dem oder der städtischen Beschäftigten schon das offene Ohr von Flier – etwa nach einem Konflikt mit einer Kollegin oder bei Stress auf der Arbeit. Doch manchmal kommen auch Beschäftigte, die ihre Aufgaben und ihren Alltag kaum noch bewältigen können und schwer psychisch beeinträch­tigt sind.

Beschäftigte der Stadt Köln erhalten fachliche Diagnose und Hilfe

„Die meisten Menschen können wir vom MUT mit einem oder mehreren psychosozialen Gesprächen so weit stabilisieren, dass weitere Maßnahmen nicht nötig sind“, sagt Flier. „Erkennen wir aber akuten psychotherapeutischen Versorgungsbedarf, überweisen wir an die Uniklinik Köln.“ An der dortigen Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie erhalten Beschäftigte der Stadt Köln nicht nur eine fachliche Diagnose, sondern können auch zeitnah eine Kurzzeittherapie beginnen – dank eines 
Kooperationsvertrages.

Damit hat die Stadt Köln einen außergewöhnlich umfassenden Versorgungskreislauf etabliert, um ihre psychisch beeinträchtigten oder erkrankten Beschäftigten zu unterstützen. Angefangen mit dem MUT, das mit seinen psychologischen Fach­kräften allen Beschäftigten der Stadt für Beratungs­gespräche jederzeit zur Verfügung steht. Längst nicht selbstverständlich im öffentlichen Dienst. Eine Kooperation mit einer Uniklinik ist die absolute Ausnahme.

Die Hand einer Person liegt auf der Schulter einer anderen Person.
Beschäftigten mit erkennbaren Symptomen Hilfe anzubieten, ist laut Fachleuten immer richtig und wichtig. © Getty Images/shironosov

Langes Warten auf eine Therapie vermeiden

„Die Vorteile liegen auf der Hand“, sagt Helmut Blömeke, Leiter des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) der Stadt Köln. „Normalerweise kann das MUT eine Therapie nur empfehlen. Um einen Platz müssen sich die Betroffenen dann selbst kümmern. Und das bedeutet oft Wartezeiten von einem halben Jahr, die in der Regelversorgung leider üblich sind. Diese können wir durch den direkten Draht in die Uniklinik abkürzen.“

Damit kommt die Kooperation insbesondere den Tarifbeschäftigten der Stadt zugute, die unter ebendiese Regelversorgung fallen. Blömeke weiß: „Je länger die Wartezeit, desto wahrscheinlicher verschlechtert sich der Zustand weiter. Dann droht eine lange oder gar dauerhafte Arbeitsunfähigkeit, die wir unbedingt vermeiden wollen.“

Klicktipp

Leitfaden für Führungskräfte, mit vielen Tipps zum Umgang mit psychisch beeinträchtigen Beschäftigten.

Beschäftigte des Gesundheitswesens und der öffentliche Verwaltung häufig betroffen

Neben dem menschlichen Leid spricht der BGM-Leiter damit auch einen rele­vanten wirtschaftlichen Faktor an: Die Zahl von Fehltagen im Job aufgrund psychischer Erkrankungen erreichte 2022 laut DAK-Psychreport einen neuen Höchststand. Trauriger Spitzenreiter ist demnach das Gesundheitswesen, gefolgt von der öffentlichen Verwaltung.

Eine Meta-Analyse des Arbeitsmediziners Prof. Andreas Seidler aus dem Jahr 2022 hat gezeigt, dass hohe Anforderungen und geringer Handlungsspielraum das Risiko für Depressionen und Angststörungen verdoppeln. „Insofern muss man davon ausgehen, dass steigende Arbeitsbelastungen, etwa im Gesundheitswesen und im öffentlichen Dienst, eine Rolle spielen“, sagt Dr. ­Marlen Cosmar, Psychologin und Leiterin Stabsstellen beim Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG).

Gezielte Prävention sollte daher immer ein Fokus von Unternehmen und Einrichtungen sein. Dadurch werden sich psychische Erkrankungen aber nie gänzlich vermeiden lassen, zumal die Ursachen vielfältig sind. Ein Angebot wie das der Stadt Köln und der Uniklinik ist laut Cosmar absolut empfehlenswert, da „eine möglichst frühe Unterstützung und Behandlung einer Chronifizierung und gegebenenfalls auch Suizid vorbeugt“.

Kooperation ist Teil eines strategischen Gesundheitsplans

Initiiert wurde die Kooperation zwischen der Uniklinik Köln und der Stadt Köln im Jahr 2019. „Sie ist ein Ergebnis des strategischen Gesundheitsplans, den wir ebenfalls 2019 etabliert ­haben“, sagt Blömeke.

Dieser setzt auf einen strukturierten Austausch zwischen den fünf Säulen des Be­trieblichen Gesundheitsmanagements: Projek­tmanagement, betriebsärztlicher Dienst, Fachkraft für Arbeitssicherheit, MUT und Betriebliches Eingliederungsmanagement. Im Rahmen ­dieses ­interdisziplinären Austauschs äußerten Betriebsarzt und MUT den Wunsch nach externer Unterstützung.

„Der Beratungsbedarf ­unter den 23.000 Beschäftigten war sehr hoch und kaum noch zu stemmen“, so Blömeke. Hilfreich war ein Kontakt des leitenden ­Betriebsarztes Dr. Kurt Rinnert zu Prof. Dr. Christian ­Albus, dem Leiter der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Uni­klinik – der ebenfalls schnell von der Idee überzeugt war. Nach einer Planungs­phase wurde das Pilotprojekt 2020 schließlich genehmigt und seither mehrfach verlängert.

Psychsoziale Beratung arbeitet vertraulich

Auch Ruth Flier vom MUT ist überzeugt von der Zusammenarbeit. „Das zusätzliche Angebot der Uniklinik schließt eine Lücke. Zwar arbeiten auch beim MUT erfahrene Fachkräfte, aber wir dürfen keine Diagnosen stellen und keine Therapie anbieten.“ Unabhängig davon ist aber auch die psychosoziale Beratung des MUT eine große Hilfe für die Beschäftigten.

„Wir haben jährlich rund 1.000 Einzelpersonen in der Beratung, davon 300 bis 500 Neukontakte. Und etwa 90 Prozent dieser Menschen können wir in einem oder mehreren Gesprächen so weit stabilisieren, dass wir sie nicht an die Uniklinik über­weisen müssen“, sagt die Psychologin.

Ein Vorteil sei ihre besondere Position: „Wir sind drinnen und gleichzeitig draußen. Sprich, wir kennen die Arbeitsrealitäten der Beschäftigten. Gleichzeitig bieten wir eine anonyme Beratung in einem sicheren Raum.“ Vertraulichkeit und Datenschutz seien ganz wichtig.

Psychische Beeinträch­tigungen erkennen

Viele psychische Erkrankungen ­äußern sich auch durch Verhaltensänderungen am Arbeitsplatz. Dazu kann gehören:

  • Häufige Verspätungen,
  • Unzuverlässigkeit oder unentschuldigtes Fehlen
  • Arbeitsaufgaben dauern ­länger als gewöhnlich oder werden gar nicht erledigt
  • Auffällige Leistungs­minderung
  • Untypisches häufiges ­Nachfragen oder über­triebene Kontrolle der ­eigenen Aufgaben
  • Erhöhte Fehlerquote
  • Rückzug aus sozialer Inter­aktion im Team
  • Gereiztheit, übersteigerte ­Reaktionen, zum Beispiel Weinen oder Lautwerden
  • Andauernde Traurigkeit
  • Extreme Anspannung
  • Ungepflegte Erscheinung

Wichtig: Bemerken Führungskräfte eines oder mehrere ­dieser Warn­zeichen, sollten sie die Person sensibel ­darauf ansprechen („Mir ist aufgefallen, dass …“) und auf interne und externe Hilfsangebote hinweisen.

Zentraler Baustein: Führungskräfte schulen und sensibilisieren

Das MUT übernimmt noch eine weitere wichtige Funktion: Bildungsarbeit, insbesondere von Führungskräften der Stadt Köln. „Wir gehen aktiv in die Einrichtung und bieten Workshops an. Und erklären, was psychische Belastung und was psychische Erkrankungen sind, welche Symptome es gibt und wie man Beschäftigte darauf ansprechen kann“, sagt Flier.

Dabei werde auch die Angst genommen, Erkrankte „falsch“ anzusprechen und damit deren Zustand weiter zu verschlechtern. „Es ist nie falsch, Unterstützung anzubieten. Auch vermitteln wir, dass eine psychische Erkrankung genauso einzuordnen ist wie etwa ein gebrochenes Bein. In beiden Fällen sollte man sich professionell behandeln lassen.“ Dieses Grundverständnis haben laut Flier mittlerweile viele, aber längst nicht alle Führungspersonen.

Psychologin Cosmar vom IAG hält die Schulung von Führungskräften für ­einen zentralen Baustein. „Wichtig ist, diese so zu informieren, dass sie Auffälligkeiten erkennen und ansprechen können. Auch sollten sie anregen, sich Hilfe zu suchen.“ Ebenso wichtig: Niemand darf ­im beruflichen Kontext gedrängt werden, Auskunft über den eigenen ­Gesundheitszustand zu ­geben.

Mehrere Personen sitzen in einem Stuhlkreis. Eine Frau hält Blätter Papier in den Händen.
Idealerweise werden Führungskräfte zum Thema psychische Erkrankungen in der Einrichtung geschult. © Getty Images/fotostorm

Infomationslücken unter Führungskräften zum Thema psychische Erkrankungen

Offenbar besteht in Sachen Information aber oft noch Nachholbedarf. Zumindest laut einer nicht repräsentativen Umfrage von top eins zu psychischen Erkrankungen am Arbeitplatz, an der 239 Personen teilgenommen haben.

Demnach gaben 40 Prozent der Befragten an, dass psychische Erkrankungen in ihrer Einrichtung bislang gar nicht thematisiert wurden. Immerhin scheint bei vielen Führungskräften oder deren Arbeitgebenden aber der Wille da zu sein: 71 Prozent wollen künftig Maßnahmen umsetzen, um das Wissen zum Thema zu schärfen – etwa durch Info-Veranstaltungen oder Info-Mails.

Jede vierte Person gab an, dass sie oder ihre Einrichtung keine Maßnahmen umsetzen wollen.

Maßnahmen und Ansprechpersonen bei psychischen Erkrankungen

  • Führungskräfte schulen: Grundwissen zu Symptomen, Gesprächs­führung sowie zu ­betrieblichen Hilfsangeboten ­vermitteln
  • Mitarbeitenden-Unterstützungs­team (MUT): Meist von Psychologinnen und Psychologen ­geleitet, kann es als zentrale, interne ­Beratungsstelle etabliert werden
  • Psychologische Erstbetreuende: unterstützen Kolleginnen und Kollegen direkt nach einem belastenden Ereignis bei der Arbeit
  • Psychotherapeutenverfahren der gesetzlichen Unfallversicherung: unterstützt nach einem berufs­bezogenen traumatischen ­Ereignis; Ziel ist die ­schnelle ­Vermittlung einer psycho­therapeutischen Therapie
  • Betriebsärztin/Betriebsarzt: ­berät Arbeitgebende bei ­Erkrankungen der Beschäftigten und Maßnahmen zur Prävention und zur Wieder­eingliederung
  • Employee Assistance Program (EAP): externe, vertrauliche ­Mitarbeitendenberatung; 
Wichtig: keine Therapie, sondern erste, meist telefonische Anlaufstelle, etwa bei beginnenden ­psychischen Auffälligkeiten
  • Betriebliches Eingliederungs­management (BEM): Instrument, um Beschäftigte nach ­mindestens sechswöchiger Erkrankung ­wieder in den Berufsalltag zu integrieren und unterstützende Maßnahmen einzuleiten

Betriebliche Hilfsangebote für psychisch Erkrankte müssen sich ergänzen

Grundsätzlich müssen verschiedene Maßnahmen ineinandergreifen, um erkrankte Beschäftigte optimal zu unterstützen, betonen auch Ruth Flier und Helmut Blömeke. Angefangen bei der aufmerksamen Führungskraft, die Warnsignale erkennt und zu einem Termin beim MUT ermutigt.

Bei einem längeren Arbeitsausfall arbeitet das MUT eng mit dem Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) zusammen, um die Rückkehr in den Job zu gestalten. Nach traumatischen Erlebnissen bei der Arbeit, etwa durch die wachsende Zahl tätlicher Angriffe auf Beschäftigte der öffent­lichen Verwaltung, stehen den Betroffenen zusätzliche Hilfs­angebote seitens der gesetzlichen Unfallversicherung zu. So auch das Psychotherapeutenverfahren.

Darüber hinaus hat die Stadt Köln in den letzten Jahren zusätzliche psychologische Ersthelfende ausgebildet, die Beschäftigten direkt nach dem Erlebnis zur Seite stehen. „Auch das ist eine enorme Entlastung für uns, denn in diesen Fällen ist Unterstützung in den ersten 48 Stunden entscheidend“, sagt Flier. Aber unabhängig davon, ob es ein berufliches Problem gibt oder private Sorgen, ob es sich um Tarifbeschäftigte oder Beamtinnen und Beamte handelt: Das Angebot der Uniklinik und die Beratung des MUT können alle Beschäftigten der Stadt nutzen.

Kooperation zwischen Uniklinik und Stadtverwaltung

Letztgenanntes ist schon seit mehreren ­Jahren eine Konstante bei der Stadt Köln. Die Chancen, dass die ehemals als Pilotprojekt gestartete Kooperation mit der Uniklinik dauerhaft fortgesetzt wird, stehen laut Helmut Blömeke ebenfalls gut. Als BGM-Leiter hat er nicht nur die Finanzierung, sondern auch das Thema Evaluation im Blick

Die Ergebnisse überzeugen: „Wir führen regelmäßig unter Wahrung des Datenschutzes Auswertungsgespräche mit den zuständigen Therapeutinnen und Therapeuten durch. Demnach konnte durch eine schnelle klinische Versorgung schon mehrfach eine Arbeitsunfähigkeit deutlich verkürzt oder sogar verhindert werden, was mich sehr freut.“ Die dadurch eingesparten Kosten könnten die finanziellen Mittel für das Klinikpersonal mehr als decken, so Blömeke. Gute Argumente also für eine Fortsetzung des Projektes.