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Inklusion: „Es geht nicht darum, ein wenig mitarbeiten zu dürfen“
Haben behinderte Beschäftigte die Möglichkeit, ihr ganzes Potenzial zu entfalten und Karriere zu machen? Diesen Fragen müssen sich Unternehmen stellen, meint Laura Gehlhaar. © Marco Ruhlig

Führungskultur : Inklusion: „Es geht nicht darum, ein wenig mitarbeiten zu dürfen“

Über Menschen mit Behinderung kursieren viele falsche Annahmen, sagt Laura Gehlhaar. Sie zeigt Unternehmen, wie sie Inklusion und Diversität stärken können.

Laura Gehlhaar ist Unternehmensberaterin, ausgebildete Mediatorin und Coachin. Auf Social Media äußert sie sich seit vielen Jahren zu Inklusion und Gerechtigkeit – und gehört dort zu den lautesten Stimmen. Gehör findet sie unter anderem bei Unternehmen und Organisationen, die sich inklusiv aufstellen und dahingehend weiterbilden wollen. Was Gehlhaar unter Inklusion versteht und was dafür unbedingt notwendig ist, schildert sie im Interview.

Frau Gehlhaar, mit welchen Fragen kommen Unternehmen auf Sie zu?

Oft sind es Diversity- oder Inklusionsbeauftragte von Organisationen, die sich bei mir melden. Die Anfragen sind sehr unterschiedlich, aber im Grunde geht es darum, dass sie lernen wollen, wie sie als Unternehmen eine diverse und inklusive Unternehmenskultur implementieren können. Also: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit sich Beschäftigte mit Behinderung bei uns willkommen fühlen?

Was verstehen Sie unter Inklusion im betrieblichen Kontext?

Inklusion beziehungsweise DEI – also Diversity, Equity and Inclusion, wie es in Fachkreisen genannt wird – besteht nicht daraus, punktuell in einem Team oder auf einer bestimmten Etage so und so viele Beschäftigte mit Behinderung einzustellen. Ich verstehe Diversität vielmehr als ein Ökosystem, das alle Unternehmensbereiche und Hierarchien durchdringt. Diversität umzusetzen ist zeitaufwendig und erfordert viel Reflexion – auch was eigene Arbeitsstrukturen betrifft. Diese sind zwar etabliert, aber eben nicht für alle gut und schließen behinderte Beschäftigte oft aus.

Laura Gehlhaar ist Beraterin und Coachin für Diversität und Inklusion
Laura Gehlhaar, Unternehmensberaterin und Coachin für Diversity, Equityand Inclusion (DEI) © Andi Weiland

Gibt es Falschannahmen über Inklusion, denen Sie begegnen?

Zugänge schaffen, ist eine Sache. Aber reicht das? Ich gehe gern noch einen Schritt weiter: Behinderte Beschäftigte sollen nicht einfach nur ein wenig mitarbeiten dürfen. Sie sollen gehört und gesehen werden, Gespräche und Aufgaben leiten dürfen. Selbst wenn es ein Unternehmen schafft, eine diversere Belegschaft zu er­reichen, muss es sich die Frage stellen: Wie wertgeschätzt und aufgehoben füh­len sich die Beschäftigten? Haben sie die Möglichkeit, ihr Potenzial zu entfalten, Leistung zu erbringen und Karriere zu machen – bis sie vielleicht sogar meine Abteilung leiten? Das zu lernen, ist für Nicht-Behinderte ein schwerer Prozess, weil sie ein unvollständiges Bild von be­hinderten Menschen haben.

Inwiefern?

Es kursieren einfach viele falsche Bilder über Menschen mit Behinderung. Ganz tückisch zum Beispiel die Erwartung, dass behinderte Beschäftigte dankbar sein müssten, überhaupt „mitmachen“ zu dürfen. Wenn sie sich aber beschwe­ren, etwas kritisieren oder einfordern, ist das für Nicht-Behinderte oft irritie­rend. Das zu verlernen, ist harte Arbeit.

Kommen wir zum Thema Kommunikation. Viele Personen sind sich unsicher, wie sie von behinderten Menschen sprechen sollen. Was würden Sie raten?

Wenn ich in Vorträgen von behinderten Menschen, behinderten Beschäftigten oder dergleichen spreche, taucht im anschließenden Q&A garantiert die Meldung auf: „Ich versuche ja das Wort ,behindert‘ immer zu vermeiden, weil das doch verletzend sein könnte. Warum verwenden Sie es?“ Solche oder ähnliche Fragen zeigen, dass es noch ganz viel Redebedarf gibt.

Ich kann nur sagen, dass das Wort Behinderung ein sehr gutes Wort ist – das behinderte Menschen zudem selbst für sich gewählt haben. Auch wenn Ausdrücke wie „Behinderung“ oder „behindert“ durch Nicht-Behinderte negativ geprägt wurden, sind das keine schlimmen Wörter. Das ist unsere Bezeichnung für unseren Zustand. Außerdem kann man mit ihnen gleichermaßen wunderbar beschreiben, dass wir auch behindert werden. Durch äußere Umstände, durch Vorurteile und Falschannahmen.

Was ist mit Ausdrücken wie „Mensch mit Behinderung“?

Da hilft ein Blick in die Sprachtheorie. Formulierungen wie „behinderter Mensch“ oder „behinderte Frau“ entstammen der Identity-First-Sprache. Menschen, die diese Sprache verwenden, wollen ausdrücken, dass Behinderung ein Teil einer Identität ist – sie untrennbar mit ihr verbunden ist. Ich selbst als behinderte Frau identifiziere mich über meine Behinderung, weil sie mich so sehr als Mensch prägt. Wiederum kommen Ausdrücke wie „Mensch mit Behinderung“ aus der Person-first-Sprache. Mit ihr betonen Sprecherinnen und Sprecher, dass der Mensch im Vordergrund steht und eine Person nicht auf ihre Behinderung reduziert wird. Ich sehe das anders. Ich denke, man kann gar nicht auf seine Behinderung reduziert werden.

Dann gibt noch Euphemismen, also Beschönigungen, wie Menschen „mit Handicap“, „mit besonderen Bedürfnissen“ oder „mit Beeinträchtigungen“. Solche Formulierungen schaffen weder Inklusion noch bauen sie strukturelle Diskriminierung ab – ganz im Gegenteil. Sie verschleiern, statt das Kind beim Namen zu nennen. Es hilft keinem behinderten Menschen, wenn sich Nicht-Behinderte aufhübschende Beschreibungen ausdenken, um für sie unangenehme Wörter zu umschiffen.

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Wie sieht es im Gespräch mit behinderten Beschäftigten aus: Was darf eine Führungskraft fragen und wann wird es übergriffig?

Ein großes Problem, dem behinderte Menschen vielfach begegnen, ist, dass ihre Privatsphäre nicht beachtet wird. Ich persönlich gebe keine Auskünfte über meine Behinderung und finde es unglaublich unhöflich, danach zu fragen. Man sollte einfach die Grenzen kennen.

Behinderte sind außerdem Expertinnen und Experten in eigener Sache. Sie wissen am besten, wo ihre Fähigkeiten liegen und können sehr gut kommunizieren, was sie brauchen. Wenn es einer behinderten Person wichtig ist, darüber zu sprechen, welche Behinderung oder welche chronische Erkrankung sie hat – zum Beispiel, weil sie bestimmtes Equipment braucht –, dann wird sie das tun. In der Verantwortung der Führungskraft ist es dann, die Botschaften offen und wertschätzend anzunehmen.

Wie läuft eine Beratung bei Ihnen ab?

Ich biete verschiedene Formate an. Je nach Anfrage, Budget und Motivation eignen sich Vorträge, Coachings, Workshops oder auch beratende Begleitung, die bis zu sechs Monate andauern kann und verschiedene Reflexionsprozesse in Gang setzt.

Welches Format sich eignet, finde ich gemeinsam mit dem Unternehmen heraus. Ich bin außerdem unglaublich gut vernetzt. Auch wenn ich durch mein Studium, durch meine Ausbildung und meine eigene Behinderung sehr viel Wissen und Fähigkeiten mitbringe, gibt es Themen, die bei anderen besser aufgehoben sind. Ich vermittle Unternehmen dann an geeignete Fachleute weiter – etwa, wenn es um barrierefreie Websites für Sehbehinderte oder Blinde geht.