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Meeting-Kultur mit Sinn und Verstand
Muss überhaupt immer das gesamte Team im Meeting sitzen? Wenn Personen nichts beitragen können, sollten sie die Zeit anders nutzen dürfen. © Adobe Stock/peopleimages

Führungskultur : Meeting-Kultur mit Sinn und Verstand

Meetings sind viel zu oft schlecht geplante Zeitfresser. Agenda sowie Vor- und Nachbereitung steigern die Produktivität. Auch gesundheitliche Aspekte sind relevant.

Ein Bildschirm mit zwölf Kacheln, aus denen zwölf Gesichter schauen. Ein Gesicht, die Führungskraft, referiert seit 20 Minuten über die anstehenden Aufgaben. Die anderen hören mehr oder weniger aufmerksam zu, zwei Personen tippen parallel, eine andere stellt immer wieder ihre Kamera an und aus, weil die Internetverbindung instabil ist.

So oder so ähnlich sieht aktuell eine beliebige digitale Teambesprechung aus. Typisch ist auch: Am Ende wird etwa die Hälfte der Teilnehmenden gar nichts gesagt haben. Und die Führungskraft hat noch zwei weitere Meetings vor sich.

Schlechte Meeting-Kultur kosten Geld

Bei der Frage nach der Sinnhaftigkeit von Meetings kommen Forschende zu ernüchternden Ergebnissen: Je nach Studie verstreicht die Hälfte bis zwei ­Drittel der Meeting-Zeit unproduktiv. Und da vor allem Führungskräfte einen Großteil ihrer Arbeitszeit in Meetings ­verbringen – laut US-Meeting-Experte ­Steven Rogelberg bis zu 80 Prozent –, kostet dieses mangelhafte Zeitmanagement Unternehmen bares Geld.

Zudem können zu viele digitale Meetings sogar krank machen. Gründe genug, um mit den folgenden Schritten die eigene Meeting-Kultur zu hinterfragen und gezielt zu optimieren.

Meeting-Report 2019

Für den Doodle State of Meetings Report 2019 hat der Terminplanungsdienst 6.528 Beschäftigte in der Schweiz, Deutschland, Großbritannien und den USA befragt sowie Daten aus 19 Millionen Meetings ausgewertet, die über die Plattform von Doodle 2018 organisiert wurden (Hinweis: Der Report ist im Jahr 2019 und somit vor der Corona-Pandemie veröffentlicht worden).

  • 60 Milliarden Euro haben deutsche Unternehmen laut Meeting-Report im Jahr 2019 für verschwendete Meeting-Zeit bezahlt; Grundlage sind die wöchentlichen Kosten im Vergleich zum Durchschnittsgehalt.
  • 37 Prozent der Befragten halten unnötige Meetings für den größten Kostenfaktor ihres Unternehmens
  • Zwei Stunden pro Woche verbringen Arbeitnehmende laut Meeting-Report in aus ihrer Sicht nutzlosen Meetings. Im Schnitt verbrachten die Befragten drei Stunden pro Woche in Meetings – somit empfinden sie zwei Drittel davon als überflüssig.

Sieben Tipps für eine gute Meeting-Kultur

1. Meeting-Grund bestimmen

Die erste, zentrale Frage: Warum wird ein Meeting überhaupt angesetzt? „Wichtig ist ein Zweck. Wenn es um reinen Informationsaustausch geht, der ­keiner Diskussion oder Abstimmung bedarf, reicht meist eine Mail“, sagt Prof. Dr. Nale Lehmann-Willenbrock. Die Organisationspsychologin hat ­einen Schwerpunkt ihrer Forschung auf Meetings gelegt.

Ein Klassiker in Sachen Unproduktivität ist das Status-Team-Meeting, in dem die Teilnehmenden oft einfach draufloserzählen. Aber: „Aufgrund der aktuell häufigen Arbeit im Homeoffice fehlt eine wichtige Dimension der Kommunikation. Wenn das Team-Meeting die einzige Möglichkeit ist, die Kolleginnen und Kollegen zu sehen, dann kann die Beziehungspflege ein relevanter Meeting-Zweck sein.“

2. Meeting-Format wählen

Online, hybrid oder in Präsenz: Da viele Unternehmen ihren Mitarbeitenden auch nach dem Auslaufen der betrieblichen Corona-Sonderregeln das Homeoffice ermöglichen, stellt sich diese Frage weiterhin. Stimmen die technischen Voraussetzungen, spricht grundsätzlich nichts gegen Online- und Hybridformate, sagt ­Diplom-Psychologin Dr. Marlen ­Cosmar vom Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG).

„Aus sozialer Sicht sind Vor-Ort-Meetings klar zu bevorzugen. Online-Meetings sind eher für inhaltliche Fragen nützlich“, sagt Cosmar. „Führungskräfte sollten darauf achten, dass das Team sich regelmäßig auch persönlich sieht. Das reicht durchaus einmal im Monat.“ Welche langfristigen Auswirkungen die neuen Meeting-Formate auf die Beschäftigten haben, ist laut Cosmar noch nicht abschließend erforscht.

3. Teilnehmende Personen für Meeting auswählen

„Unternehmen sollten sich von dem Gedanken lösen, dass immer das ganze Team im Meeting sitzen muss“, sagt Lehmann-Willenbrock. Sinnvoll sei es, im Nachgang zu reflektieren: Wer hat wirklich etwas beigetragen? Gab es Teilnehmende ohne Redeanteil, ist das entweder ein Problem der Meeting-Planung oder die Person hatte zu dem Thema schlicht nichts zu sagen – und muss folglich beim nächsten Termin nicht dabei sein. Es liegt dann an der Führungskraft zu vermitteln, dass dies keine mangelnde Wertschätzung, sondern vielmehr ein Weg zum Sparen wertvoller Ressourcen ist.

Für die Führungskräfte selbst ist das Fernbleiben oft schwieriger: „Wenn die Struktur von Unternehmen oder Einrichtungen viele Entscheidungstragende und damit viele gemeinsame Absprachen vorsieht, sind Meetings oft unumgänglich“, sagt Cosmar. Um Zeit zu sparen, können Themen gebündelt werden. Wenn Führungskräfte aber kaum noch Zeit für andere Aufgaben haben, sollten sie mit den Arbeitgebenden besagte Strukturen hinterfragen.

4. Meeting-Dauer festlegen

Die Expertinnen sind sich einig: Länger als eine Stunde am Stück sollte ein Meeting nicht dauern. Ist es doch mal länger angesetzt, sind ausreichend Pausen mit Bewegung einzuplanen.

Wer zu lange in digitalen Meetings sitzt, riskiert gesundheitliche Folgen. © Getty Images/Ratiger

5. Agenda und Ablauf von guten Meetings

Ein Meeting zieht sich unnötig in die Länge oder gleitet in ziellose Gespräche ab? Dann fehlt meist eine klare Agenda. Wichtigste Funktion: Zweck, Themen und Ziele definieren. Gibt es kein Ziel, gibt es auch keinen Zweck und das Meeting ist laut Lehmann-Willenbrock unnötig. Auch sollte in der Agenda die Dauer des Meetings festgelegt werden. Bei einem sehr üppigen Programm ist es sinnvoll, die einzelnen Punkte zeitlich einzugrenzen.

Um die Agenda einzuhalten, hilft eine gute Moderation. Sie kann eingreifen, wenn die Zeit überschritten ist oder Teilnehmende vom Thema abweichen. „Das muss nicht zwangsläufig die Führungskraft sein“, betont Lehmann-Willenbrock. Idealerweise werden mehrere Personen gezielt in Moderationstechniken geschult. Sowieso ist es sinnvoll, verschiedene Meeting-Aufgaben an verschiedene Personen zu verteilen.

Die Agenda sollte rechtzeitig allen Teilnehmenden zugeschickt werden, mit der Bitte, sich vorzubereiten. Im Idealfall wird vorab schon festgelegt, wer zu welchem Thema etwas sagt, und zusätzlich Zeit für offene Diskussion eingeplant. Lange Monologe Einzelner werden durch ausgewogene Redeanteile vermieden. Zudem mindert Partizipation Frust und Langeweile.

6. Protokoll und Nachbereitung

Ein Protokoll ist unerlässlich für eine zielführende Nachbereitung. Die Ergebnisse sollten klar ersichtlich sein, ebenso wie offene To-dos und Abgabefristen. Das Protokoll kann ein einfaches Textdokument sein oder ein „lebendiges“ digitales Dokument, auf das alle Beteiligten Zugriff haben. Wichtig ist auch hier eine Person, die verantwortlich zeichnet – und nicht nur das Protokoll federführend anfertigt, sondern auch den Überblick behält.

7. Gesundheitsrisiken wegen schlechter Meeting-Kultur vermeiden

Digitale Meetings waren ein Segen, um in der Corona-Pandemie das Team treffen zu können. Viele Arbeitgebende im öffentlichen Dienst haben hier technisch nachgerüstet. Doch nehmen digitale Meetings überhand, können sie körperliche und psychische Symp­tome nach sich ziehen. Hier hat sich der Begriff „Zoom-Fatigue“ etabliert. Und da vielen Beschäftigten weiterhin Tage im Homeoffice ermöglicht werden, bleibt das Thema akut.

„Genau wie bei Meetings in Präsenz sollte geprüft werden: Ist ein Online-Meeting wirklich nötig?“, sagt Jenny Hook. Sie ist Referentin am Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG). „Wie viele Stunden als zu viel erlebt werden, ist individuell. Aber wenn es täglich mehrere lange Online-Meetings sind, ist das Risiko, sich müde oder erschöpft zu fühlen, hoch.“

Laut Hook belegt eine Studie, dass vor allem das stundenlange Stillsitzen in einer immergleichen Position als beanspruchend erlebt wird. Deswegen sollten insbesondere bei Online-Sitzungen ausreichend Pausen und Bewegung eingeplant werden. Zudem fühlen sich viele durch die anderen Teilnehmenden beobachtet. Aber auch der Blick aufs eigene virtuelle Spiegelbild kann anstrengen. „Es kann helfen, die Selbstansicht auszublenden oder abzudecken“, sagt Hook.

Was ist Zoom-Fatique?

  • Der Begriff bezeichnet eine Beanspruchung durch Videokonferenzen; „Zoom“ steht stellvertretend für alle digitalen Meeting-Tools, „Fatigue“ steht im Französischen für Erschöpfung
  • Betroffen sind Menschen, die häufig digitale oder hybride Meetings abhalten
  • Laut einer Studie führt Zoom-Fatigue zu psychischen und physischen Symptomen: mangelnde Konzentration, schnelle Reizbarkeit, Ungeduld, Kopf- und Rückenschmerzen und Sehstörungen; generell treten psychische Beeinträchtigungen häufiger auf
  • Werden diese ersten Warnzeichen nicht ernst genommen und tritt keine Veränderung ein, sind gesundheitliche Folgen wie Burnout oder Depressionen möglich

Mehr zu Ursachen und Vermeidung von „Zoom-Fatigue“ liefern eine IAG-Praxishilfe und ein Podcast.

Selbsttest: Einfach mal ganz auf Meetings verzichten

Beim Thema Gesundheit sind Führungskräfte besonders gefragt. „Hier sollten sie eine Vorbildfunktion einnehmen“, sagt Psychologin Cosmar. Dazu gehört auch, Risiken wie Zoom-Fatigue offen zu kommunizieren. Gleichzeitig können Führungskräfte den Mitarbeitenden signalisieren, dass sie jederzeit ansprechbar sind und Probleme ernst nehmen.

Offenheit für Neues ist ebenfalls hilfreich. Ob gemeinsame Dehnübungen in den Meeting-Pausen oder, wie Cosmar es aus einigen Einrichtungen kennt: „Mal ganz radikal eine oder mehrere Wochen auf Meetings verzichten. Und schauen, was das mit den Teams und der Kommunikation macht.“