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„Das soziale Miteinander sollte ganz oben auf die Agenda“
Der Arbeitsplatz ist ein sehr wichtiger sozialer Raum. Auch im Homeoffice sollte dieser Aspekt nicht vernachlässigt werden. © istock/fizkes

Gesundheitsschutz : „Das soziale Miteinander sollte ganz oben auf die Agenda“

Krisen beeinflussen die psychische Gesundheit von Beschäftigten. Wie Führungskräfte sie unterstützen können, erklären Jasmine Kix und Esin Taşkan im Interview.

Wie wirken sich Pandemie und andere Krisen auf die psychische Gesundheit der Beschäftigten aus? Wie lässt sich ihre Situation verbessern? Ein Gespräch mit Jasmine Kix und Esin Taşkan, Präventionsexpertinnen der gesetzlichen Unfallversicherung anlässlich der „Woche der Seelischen Gesundheit“ vom 10. bis 20. Oktober 2022.

Liebe Frau Kix, liebe Frau Taskan, vor zweieinhalb Jahren hat die Pandemie begonnen. Vor welchen psychischen Herausforderungen stehen Beschäftigte heute?

Taşkan: Die Menschen stehen derzeit vor allem vor der Herausforderung, sich an das dynamische Infektionsgeschehen laufend anzupassen. Es werden mal mehr, mal weniger Regeln vorgegeben, die wiederum Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation und Arbeitsabläufe haben. Hinzu kommt: Menschen schätzen die aktuelle Gefährdungslage durch die Pandemie individuell sehr unterschiedlich ein. Das birgt auch ein gewisses Konfliktpotential. Zusätzlich gab es im Sommer viele Betriebe, die aufgrund von Covid Erkrankungen mit Personalausfällen umgehen mussten. Dadurch stieg die Arbeitsmenge und -intensität. Deshalb ist es wichtig, dass in Betrieben auch weiterhin die Schutzmaßnahmen aufrechterhalten werden, wie zum Beispiel das Angebot für Tests oder persönliche Schutzausrüstung wie Masken. Aber viele Aufgaben bewältigen wir auch ganz gut. Wir wissen inzwischen was zu tun ist, um den Infektionsschutz zu gewährleisten.

Neu und unerwartet ist hingegen die Anhäufung von verschiedenen Krisen. Man spricht hier auch von kumulierten Krisen. Da ist der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise als Folge, globale Lieferengpässe, der akute Fachkräftemangel sowie der Klimawandel. Viele Betriebe wissen aktuell nicht, ob überhaupt produziert werden kann, ob genügend Material und Rohstoffe oder genügend Personal vorhanden ist.

Kix: Alles, was Ängste und Unsicherheiten in der allgemeinen Lage erzeugt, schwächt auch die Sicherheit und Gesundheit im Betrieb und wirkt auf die Beschäftigten. Wir bekommen entsprechende Anfragen aus Betrieben. Die Probleme der Beschäftigten erstrecken sich von Arbeitsplatzunsicherheit, finanziellen Sorgen, Problemen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, erhöhtem Konsum von Alkohol und Suchtmitteln bis hin zu Überlastung, Dauerstress und fehlender Erholung.

Vor allem die Beschäftigte im Gesundheitsdienst haben während der Pandemie unter traumatisierenden Ereignissen gelitten. Welche Branchen waren noch betroffen?

Taşkan: Ein potenziell traumatisierendes Ereignis zu erleiden, stellt für das Gesundheitswesen eine generelle Gefährdung dar, dies war auch schon vor der Pandemie so. Durch die besonderen Umstände in der Pandemie hat es sich in dieser Branche potenziert. Erst kürzlich hat die Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege eine Studie veröffentlicht, wonach die Ausstiegstendenzen der Beschäftigten in Pflegeberufen aufgrund der Pandemie deutlich zugenommen haben. Dadurch hat sich der Fachkräftemangel weiter verstärkt – mit schlechten Aussichten für die Zukunft.

Aber auch andere Branchen waren sehr gefordert. Studien des Instituts für Prävention und Arbeitsmedizin der DGUV (IPA) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) weisen in die gleiche Richtung. Beschäftigte berichten, von Erschwernissen bei der Arbeit mit Kunden und Kundinnen sowie anderen Kontaktpersonen betroffen zu sein. In der Regel werden für Berufe, in denen ein hohes Infektionsrisiko mit SARS-Cov-2 besteht, mehr Depressions- und Angstsymptome von den Beschäftigten berichtet. So wundert es nicht, dass als Branchen in beiden Studien neben dem Gesundheitswesen, insbesondere Beschäftigte im Erziehungs- und Sozialwesen erwähnt werden.

Zum Weiterlesen

  • Eine Ausgabe von Fachbereich AKTUELL beschäftigt sich mit der psychischen Belastung und Beanspruchung von Beschäftigten im Gesundheitsdienst während der Coronavirus-Pandemie.
  • Eine Publikation der BGW berichtet darüber, wie die Pandemie auf Fachkräftemangel trifft.

Das dynamische Infektionsgeschehen erfordert viel Flexibilität und löst Unsicherheiten aus. Wie können Beschäftigte damit umgehen?

Kix: Wenn die Welt von Krisen geschüttelt ist, braucht der Mensch umso mehr Sicherheit. Das Gefühl von Sicherheit können wir zum Beispiel durch ein soziales Miteinander erhalten. Der Mensch empfindet als soziales Wesen Sicherheit durch die Unterstützung anderer Menschen. Während der Pandemie sind nun die Herausforderungen gestiegen, im betrieblichen Miteinander gute Lösungen zu finden. Wenn das gelingt, können sie mit den anstehenden Herausforderungen besser umgehen.

Wir müssen uns die Bedeutung des Arbeitsplatzes als sozialem Ort bewusst machen und das Miteinander aktiv gestalten. Kollegialer Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung sind in Krisensituationen wichtige Ressourcen. Wenn das gut läuft, können Menschen durch Herausforderungen sogar resilienter werden. Führungskräfte haben bei der Organisation der betrieblichen Kommunikation und dem gemeinsamen Umgang eine Schlüsselrolle.

Was können Arbeitgebende tun, damit Beschäftigte auch im Homeoffice nicht den Kontakt zueinander und zur Führungskraft verlieren?

Kix: Arbeitgebende sollten dafür sorgen, dass Beschäftigte auch im Homeoffice den Kontakt und die Kommunikation mit Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzen aufrechterhalten können, dass sie Ängste und Sorgen offen ansprechen dürfen und soziale Unterstützung erfahren. Sie sollten auf eine wertschätzende, empathische Kommunikation achten.
In der Arbeitsorganisation kann die Führungsperson zum Beispiel eine Unterstützungskultur etablieren („Wer braucht was?“) und eine Aufgabenverteilung ermöglichen, die die Zusammenarbeit stärkt. Besprechungen und Teamsitzungen lassen sich gut virtuell durchführen. Präsenztermine sollte man hingegen stärker nutzen, um Feedback zu geben und sich über den Alltag auszutauschen.

Taşkan: Damit etwaige Konflikte und Probleme zeitnah bearbeitet werden können, machen Führungskräfte am besten Gesprächsangebote und planen Zeit für persönliche Gespräche an Bürotagen ein. Auch die Nutzung der Beratungsangebote externer Anbieter kann entlastend sein.

Hat sich für die Beschäftigten auch etwas verbessert seit Beginn der Pandemie?

Kix: Viele Beschäftigte haben die Möglichkeit erhalten, im Homeoffice zu arbeiten, auch dort, wo es in der Vergangenheit nicht möglich war. So konnten Erfahrungen gesammelt werden mit flexiblen Arbeitszeiten, einer größeren Autonomie bei der Arbeitsgestaltung und der Vereinbarung von Beruf und Familie.

Auch nach Wegfall der gesetzlichen Homeoffice-Pflicht während der Pandemie nutzen viele Beschäftigte zumindest teilweise weiter die Möglichkeit des Homeoffice. Eines hat die Pandemie aber auf jeden Fall gezeigt: Manche Reiseaufwände und Präsenzverpflichtungen können wir uns in Zukunft durch die Möglichkeiten der Digitalisierung ersparen.

Zum Weiterlesen

  • Eine Ausgabe von Fachbereich AKTUELL widmet sich der psychischen Belastung und Beanspruchung von Beschäftigten während der Coronavirus-Pandemie
  • Umfrage von BAuA: Betrieblicher Umgang mit psychischer Belastung durch die Corona Pandemie. Eine repräsentative Betriebsbefragung von IAB und BAuA

Bis zum 20. Oktober nimmt die „Woche der Seelischen Gesundheit“ die sozialen Beziehungen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Blick. Warum sind Betriebe und Einrichtungen als soziale Orte so wichtig?

Taşkan: Der Arbeitsplatz ist in unserer Gesellschaft ein sehr wichtiger sozialer Raum. Durch die Pandemie und den Einzug des Homeoffice erleben wir jedoch eine Auflösung dessen. Es entsteht eine Distanz nicht nur zum Dienstort, sondern auch zu den Menschen, mit denen wir arbeiten.

Kix: Dabei wird oft vergessen, dass scheinbare Selbstverständlichkeiten im Miteinander am Arbeitsplatz ein Gefühl der Verbundenheit, der Anbindung und Zugehörigkeit schaffen. Blickkontakt und körperliche Resonanz stabilisiert uns psychisch, oft unbemerkt. Das sind menschliche Grundbedürfnisse und damit wichtige Ressourcen des Menschen, denn das Gefühl der Sicherheit wird gestärkt, auch und gerade in schwierigen Zeiten.

Taşkan: Das kann ein „Wie geht’s“ auf dem Flur sein oder das gemeinsame Mittagessen in der Kantine. Aber auch ein persönliches Gespräch über den Alltag, die Freuden und Sorgen abseits des Berufs.

Kix: In unserer Gesellschaft leiden viele Menschen unter gefühlter Einsamkeit. In der Pandemie litten laut der NAKO Gesundheitsstudie 32 Prozent darunter, 80 Prozent gaben an, dass sie manchmal oder oft Gesellschaft vermisst haben. Ausschlaggebend für das Gefühl von Einsamkeit und Isolation am Arbeitsplatz ist die Wahrnehmung, dass keine ausreichende Unterstützung vorliegt.

Bei Einsamkeit steigt das Stresserleben. Die Arbeitszufriedenheit und die Produktivität sinken und die Verdichtung und die Arbeitszeit steigt. Das ist auf Dauer gefährlich. Angst- und Depressionssymptome können sich verstärken. Aus diesem Grund sollte das soziale Miteinander im Betrieb ganz oben auf die Agenda.