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Akute Hilfe für die Psyche
Psychologische Erstbetreuende werden dafür ausgebildet, nach Extremereignissen ihren Kolleginnen und Kollegen zur Seite zu stehen. © Getty Images/Yuri Arcurs

Gesundheitsschutz : Akute Hilfe für die Psyche

Nach Extremereignissen wie einer Gewalterfahrung am Arbeitsplatz benötigen Betroffene rasche Hilfe. Bieten können sie psychologische Erstbetreuerinnen und Erstbetreuer.

Der Fall sorgte 2018 für Schlagzeilen: Einer Mutter war vom Jugendamt im nord­rhein-westfälischen Lippstadt das Sorgerecht für ihr zweijähriges Kind entzogen worden. Das Kind wurde in einer Pflegefamilie untergebracht, die Mutter bekam lediglich ein Besuchsrecht. Bei einem Termin im Jugendamt zog die psychisch kranke Mutter plötzlich ein Messer, ging auf den Mitarbeiter los, der am Schreibtisch saß, und rammte ihm das Messer in den Oberschenkel.

Der Mann konnte flüchten und die Angreiferin in seinem Büro einschließen. Er kam anschließend in ein Krankenhaus. Seine Kolleginnen und Kollegen, die den Angriff verfolgt hatten, wurden von Seelsorgerinnen und Seelsorgern der freiwilligen Feuerwehr psychologisch betreut.

Nach Extremereignissen drohen Traumafolgestörungen

Wie wichtig es ist, dass in Gewaltsituationen wie diesen psychologische Hilfe schnell erfolgt, weiß Hannah Huxholl, Referentin für arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV).

„Gewalt am Arbeitsplatz ist ein Extrem­ereignis, das nicht alle Menschen gut verarbeiten können. In manchen Fällen ergibt sich eine Traumafolge­störung“, so Huxholl. „Dann kann es zu langen Ausfallzeiten der Betroffenen kommen, im Extremfall zur permanenten Arbeitsunfähigkeit.“

Gewalt am Arbeitsplatz verhindern

Gewalt am Arbeitsplatz durch organisationsfremde Personen ...

Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst steigt

Der Vorfall in Lippstadt war von hoher Brutalität gekennzeichnet – leider kein Einzelfall: Die Zahl der Übergriffe und Gewalttaten an Arbeitsplätzen ist hoch. Immer häufiger werden sie auch angezeigt. Das belegen die Arbeitsunfallberichte der DGUV.

Demnach erlitten zwischen 2017 und 2021 rund 65.000 Beschäftigte einen meldepflichtigen Arbeitsunfall infolge von physischer oder psychischer Gewalt, die sie während ihrer beruflichen Tätigkeit erlebten. Das sind im Durchschnitt 13.000 Gewaltdelikte pro Jahr. In den meisten Fällen ging die Bedrohung von betriebsfremden Personen aus.

Psychologische Erstbetreuung gehört zum betrieblichen Gesundheitsschutz

„Einrichtungen und Ämter, in denen über Menschen und ihre Situation entschieden wird, sind besonders betroffen von solchen Gewaltereignissen“, erklärt Hannah Huxholl. Dabei kann es bei den Betroffenen zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommen.

Arbeitgebende sind laut Fürsorgepflicht dazu verpflichtet, die Gesundheit der Arbeitnehmenden zu schützen. Dazu zählt auch die psy­chische Gesundheit. Um in einer ­Extremsituation ­besonders schnell reagieren zu können, ist es ratsam, ein System der psychologischen Erstbetreuung zu etablieren.

„Eine solche Erstbetreuung eignet sich bei Ereignissen, die nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen bei den Betroffenen führen“, so Huxholl. Als „betroffen“ gilt dabei nicht nur, wer direkt angegriffen wird: „Auch wer psychische oder physische 
Gewalttaten beobachtet, kann ein ­Trauma davontragen.“

Führungskräfte sollten Freiwillige suchen, die sich zu psychologischen Erstbetreuenden für ihre Einrichtung 
ausbilden lassen. © Getty Images/miniseries

Erstbetreuerinnen und Erstbetreuer aus der Belegschaft auswählen

Führungskräfte sind also gut beraten, aus dem Kreis der Belegschaft psychologische Erstbetreuerinnen und Erstbetreuer auszuwählen und entsprechend auszubilden zu lassen. Damit richten sie eine Struktur ein, die im Ernstfall dazu beiträgt, langfristige gesundheit­liche Schäden zu verhindern.

Die Erstbetreuerinnen und Erstbetreuer leisten vor Ort emotionalen Beistand. Sie begleiten die Betroffenen zum Beispiel von der ­Unfallstelle weg und halten sie von neugierigen Personen fern. Außerdem können sie Angehörige informieren.

Psychologische Erstbetreuung seit 2017 standardisiert

„Wie viele Erstbetreuerinnen und Erstbetreuer ein Betrieb benötigt, lässt sich nur schwer sagen“, meint Huxholl. Dies richte sich nach der potenziellen Anzahl und der möglichen Schwere der traumatischen Ereignisse sowie nach der Anzahl der Beschäftigten und der regionalen Verteilung der Dienststellen oder Betriebsstandorte. Zu berücksichtigen sei auch die Verteilung der Arbeitszeiten. Arbeiten Beschäftigte in Schichten, sollte in jeder Schicht eine ausgebildete psychologische Erstbetreuerin oder ein Erstbetreuer zugegen sein.

Während für die medizinische Erste ­Hilfe detaillierte Standards im Vorgehen und bei der Ausbildung der Ersthelfenden existieren, ist dies bei der psychologischen Erstbetreuung nicht der Fall. 2017 hat die DGUV allerdings erstmals Mindeststandards in der ­betrieblichen psychologischen Erstbetreuung definiert. Ziel ist es, eine ­einheitliche und hohe fachliche Qualität der Erstbetreuung sicherzustellen.

Klicktipp

Psychotherapeutenverfahren: Psychotherapeutinnen und 
Psychotherapeuten finden

Psychotherapeutenverfahren vermittelt schnell die richtige Therapie

Außerdem ist es wichtig, zeitnah therapeutisch auf potenziell traumatische Extremereignisse zu reagieren. „Für solche Fälle bietet die DGUV das Psychotherapeutenverfahren an“, informiert Huxholl. „Mit diesem Instrument sind wir in der Lage, unkompliziert und zeitnah fünf sogenannte probatorische Therapiesitzungen zu vermitteln.“

Diese Sitzungen dienen hierbei der Frühintervention und dem Einschätzen der psychischen Situation des oder der Betroffenen. „Es wird besprochen, ob eine längere Therapie notwendig ist“, er­läutert Huxholl. Diese kann dann ebenfalls rasch erfolgen. Gerade die ­schnelle Behandlung ist ein enormer Vorteil des DGUV Verfahrens, denn die Wartezeit auf einen Therapieplatz kann sonst ­viele Monate dauern.