
Führungskultur : Wie Führungskräfte von Change Management profitieren
So manche Probleme sind struktureller Natur. Ein Beispiel: Eine Führungskraft der Stadtverwaltung Duisburg hat ein Platzproblem – für neue Beschäftigte fehlen Schreibtische. Sie wendet sich an das Sachgebiet Change Management mit der Bitte, ein neues Bürokonzept anzustoßen. Für Sachgebietsleiterin Maren Wagner eine ideale Ausgangslage: „Wir sagen: Klar, wir können helfen. Aber wir widmen uns nicht nur den Räumen, sondern setzen einen Kulturprozess in Gang.“
Denn hinter dem vermeintlichen Platzproblem steckt etwas anderes: Es gibt sehr wohl freie Schreibtische, weil viele Teammitglieder mobil arbeiten. Weil jeder Tisch aber nach wie vor einer Person zugeordnet ist, können neue Beschäftigte nur auf Nachfrage dort sitzen. Wagner weiß: Das Team muss flexibler aufgestellt werden – ohne die Beschäftigten zu verunsichern oder abzuschrecken.

Mit Change Management die Verwaltung der Zukunft gestalten
Veränderungsprozesse konzipieren, begleiten und in die Praxis überführen: Das sind die Kernaufgaben des Change Managements. In der Stadtverwaltung Duisburg wurde der Bereich bereits im Jahr 2018 etabliert. „Bei uns wurde sehr früh erkannt, dass die Verwaltung der Zukunft anders funktionieren muss“, sagt Maren Wagner. Intern wurde das Konzept der „neuen Arbeitswelten“ geprägt. Zu den sechs Bausteinen gehören Bürokonzepte, Führungskultur, Agilität, Flexibilität, Partizipation und Digitalisierung. Oft sei ein Baustein der Auslöser, um auch alle anderen Themen zu bearbeiten – die ohnehin miteinander verzahnt seien, so Wagner. Kein neues Bürokonzept ohne Partizipation, keine flexiblen Arbeitsstrukturen ohne motivierende Führung.
Welche Bedeutung gutem Change Management beigemessen wird, zeigt sich in Duisburg auch personell. Was mit einer „Ein-Frau-Stelle“ begann, wurde zu einem Sachgebiet mit sechs festen Beschäftigten ausgebaut. Zum Team gehört neben Verwaltungsmitarbeitenden und Berufserfahrenen aus der freien Wirtschaft auch eine Resilienz-Trainerin. Denn im Fokus des Change Managements stehen zufriedene und gesunde Mitarbeitende.

Veränderungsprozesse bergen gesundheitliche Risiken
So wichtig der Wandel in der Arbeitswelt auch ist: Er birgt ebenso Risiken für die Beschäftigten: „Wenn Menschen das Gefühl haben, nicht gefragt zu werden und das Warum und Wieso nicht erklärt zu bekommen, dann ist das demotivierend“, sagt Sieglinde Ludwig, Leiterin des Fachbereichs „Gesundheit im Betrieb“ der DGUV. Auf dieses Gefühl folge oft Resignation bis hin zum Boykott neuer Maßnahmen. Konstanter Unmut und daraus folgender Widerstand gegen Neues sei fatal – für das Unternehmen und für die Mitarbeitenden selbst.
Sieglinde Ludwig verweist auf eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), die ergab, dass sich der Gesundheitszustand von Beschäftigten nach großen Change-Projekten oft deutlich verschlechtert. Symptome sind etwa Müdigkeit, Niedergeschlagenheit und Kopfschmerzen. „Das wirkt sich auf die Arbeitssicherheit aus, denn die Fehlerwahrscheinlichkeit erhöht sich“, sagt Ludwig. Um das zu vermeiden, müssen vor jedem Veränderungsprozess auch Risiken durch erhöhte psychische Belastung im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ermittelt werden. Dabei sollten die Fachkraft für Arbeitssicherheit sowie die Betriebsärztin oder der Betriebsarzt einbezogen werden. „Ein Change Management zu etablieren, ist eine mögliche Maßnahme“, so Ludwig.

Partizipation und Kommunikation können Widerstände vermeiden
Oft beginnt die Negativspirale direkt zu Beginn eines Projektes. DGUV-Expertin Ludwig rät dazu, das Team von Anfang an einzubeziehen – unabhängig davon, ob ein neues Sitzplatzkonzept, neue Software oder eine neue Organisationsstruktur eingeführt werden soll. „Das kann verhindern, dass die Widerstände größer und größer werden. Ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen, hilft manchmal nur ein Cut und das Projekt ist vorerst gescheitert.“
Laut Studie: Nur 16 %
der Change-Projekte sind erfolgreich (Maßstab für den Erfolg: 75 – 100 % der Projektziele wurden erreicht).
Nur 4 % der Befragten halten ihre Organisation für „Change-fit“.
Quelle: Change Fitness Studie 2020/2021 von Mutaree: befragt wurden 200 Personen aus Management und Mitarbeiterschaft; Hinweis: Untersuchungszeitraum fiel in die Corona-Pandemie
Auch in der Stadtverwaltung Duisburg hat es sich bewährt, wenn das Change-Management- Team diese Prozesse so früh wie möglich anschiebt. „Bestenfalls bereits in der Konzeptionsphase“, so Maren Wagner. In dieser Startphase, aber auch im Prozess nutzt das Team dafür Workshop-Formate. Hier können alle Beteiligten Fragen stellen sowie Wünsche und Sorgen formulieren. Etwa was es braucht, damit flexible Sitzplatzmodelle funktionieren, und welche individuellen Vorbehalte damit verbunden sind. „In diesen Workshops merken wir ganz schnell, wenn die Kommunikation in einem Team nicht stimmt, wenn da etwas brodelt“, sagt Maren Thommes, stellvertretende Leiterin des Sachgebiets Change Management in Duisburg. „Fragen wir dann konkret nach den Widerständen, stellt sich häufig heraus, dass Beschäftigte gar nicht die Veränderung an sich infrage stellen – sondern dass die Verantwortlichen sie einfach früher hätten einbeziehen müssen“, so Thommes.
Ihre Kollegin Maren Wagner erinnert sich an ein Team, das negative Erfahrungen mit nicht erfüllten Erwartungen gemacht hatte. „Beim nächsten Change-Projekt war ihre Grundhaltung dann zunächst: ‚Nee, machen wir nicht mit‘“, so Wagner. „Was das Team brauchte, war eine verbindliche Zusicherung.“ Also riet das Team Change Management dem Vorgesetzten, die Rahmenbedingungen diesmal schriftlich aufzuschreiben und so für Verbindlichkeit und Motivation im Team zu sorgen. „Das Projekt ist mittlerweile erfolgreich implementiert und die Mitarbeitenden waren positiv überrascht.“
Change Management: Wandel emotional begleiten
Gutes Change Management ist vielschichtig, betonen ...
Impulse: Rolle der Führungskräfte im Change Management
- Beschäftigte beteiligen: Von Anfang an transparent anstehende Veränderung kommunizieren, (einzelne) Beschäftigte gezielt nach ihrer Meinung und ihren Bedürfnissen fragen
- Beschäftigte motivieren: Ziele und die geplanten Vorteile der Veränderung klar formulieren
- Beschäftigte (emotional) begleiten: Ängste und Unsicherheiten ernstnehmen, nachfragen, zuhören und eine positive Fehlerkultur etablieren
- Beschäftigte entlasten: höheres Arbeitsaufkommen durch den Change-Prozess prüfen, ggf. zusätzliche Ressourcen bereitstellen
- Beschäftigten ein Vorbild sein: Positiv über die Veränderung sprechen, Flexibilität vorleben, Probleme benennen
- Aktiv die eigene Rolle stärken: Probleme mit oberster Führungsetage oder Change Management besprechen, Beratung und Qualifizierungen nutzen, eigene Gesundheit im Blick behalten
Veränderungen lösen Emotionen aus, die es aufzufangen gilt
Was Verantwortlichen immer klar sein muss: Veränderungen lösen zum Teil starke Emotionen aus. „Es geht ja um einen Abschied, mal im Kleinen, mal im Großen“, sagt Maren Thommes. „Wenn es etwa keine festen Arbeitsplätze mehr gibt, fühlt sich das für manche existenziell an.“ Es kommt nicht von ungefähr, dass sich die Stadtverwaltung Duisburg an einem Change-Management-Modell orientiert, das seinen Ursprung in der Trauerbewältigung hat: Das 7-Phasen-Modell nach Elisabeth Kübler-Ross, die bereits in den 1960er-Jahren eine Emotionskurve der Trauer entwickelte. Beginnend beim Schock über die Verneinungsphase bis hin zur Akzeptanz. Jede dieser Phasen gilt als natürlich und muss begleitet werden.
Im DGUV Fachbereich von Sieglinde Ludwig wird das 3-Phasen-Modell nach Kurt Lewin empfohlen, das eine Balance der antreibenden und widerstrebenden Kräfte erreichen will.
Drei-Phasen-Modell des Change Managements
Das Drei-Phasen-Modell nach Kurt Lewin geht bei Veränderungsprozessen von zwei Kräften aus:
Antreibende Kraft: befürwortet Veränderung, will positive Veränderung
Widerstrebende Kraft: lehnt Veränderung ab, will Status quo beibehalten
In jeder der drei Phasen gilt es, auf die jeweiligen Kräfte mit gezielten Maßnahmen angemessen zu reagieren – mögliche Beispiele sind unten aufgeführt.
Phase 1: Anstoßen
- Was passiert: Veränderung wird von Verantwortlichen vorbereitet, Beschäftigte erfahren von den Plänen
- Risiken: Unsicherheit, was die Veränderung konkret bedeutet, etwa Angst um Arbeitsplatz oder vor Abkehr von Gewohntem
- Was ist wichtig: Transparent kommunizieren, mit Zielen und Gründen für die Veränderung motivieren
- Auswirkungen: Produktivität im Team ist normal bis hoch
Antreibende Kräfte dominieren häufig
Phase 2: Verändern
- Was passiert: Veränderungen werden nach und nach eingeführt; Beschäftigten wird klar, wie stark die Veränderung in Gewohntes eingreift und welche Aufgaben auf sie zukommen
- Risiken: zum Beispiel Überforderung, das Gefühl, übergangen zu werden, Stress durch fehlende soziale Unterstützung
- Was ist wichtig: Beschäftigte mit Qualifizierungen, zusätzlichen Ressourcen und emotionaler Stabilität stärken
- Auswirkungen: Produktivität kann vorübergehend sinken
Widerstrebende Kräfte werden stärker bis sehr stark
Phase 3: Etablieren
- Was passiert: Veränderung wird dauerhaft in den Alltag integriert, neue Prozesse und Strukturen sind nun allen vertraut
- Risiken: zum Beispiel Beschäftigte verweigern Neuerungen, erhöhte Belastung durch höheres Arbeitsaufkommen
- Was ist wichtig: Neuerungen konstant prüfen, Probleme erkennen und beseitigen, Orientierung nicht verlieren
- Auswirkungen: Produktivität steigt und bleibt konstant hoch
Antreibende Kräfte dominieren wieder
Führungskräfte müssen zuhören, nachjustieren und Vorbild sein
Für diese Balance ist eine aktive Rolle der Vorgesetzten gefragt. „Wir sagen Führungskräften ganz klar, dass wir Prozesse anstoßen und Ideen generieren können. Aber es ist an ihnen zu prüfen, welche Maßnahmen am Ende zu ihrer Teamstruktur passen“, sagt Maren Wagner. Wichtig sei auch das Bewusstsein für die eigene Vorbildfunktion. Bestenfalls gibt auch die Führungskraft den angestammten Arbeitsplatz auf oder nutzt konsequent das neu eingeführte Tool. Gleichzeitig müssen Ängste und Unsicherheiten im Team jederzeit ernst genommen werden. “

Aber auch die Führungskräfte selbst sind bei Change-Projekten nicht gefeit vor Stress oder Unsicherheit. „Auch sie brauchen Fürsorge von oben“, betont DGUV-Expertin Ludwig. „Es sollte immer die nächsthöhere Führungsebene darauf achten, dass das Arbeitspensum in einem gesunden Rahmen bleibt und die Expertise vorhanden ist, um Change-Projekte zu begleiten.“ Hier gibt es auch viele Qualifizierungsangebote der Unfallkassen, wie gesunde Führung bei Veränderungsprozessen funktioniert. Idealerweise können Verantwortliche dabei auf die Expertise eines Change Managements zurückgreifen.
In Duisburg ist ein Austausch ausdrücklich gewünscht: „Wir sehen uns als Dienstleistungseinheit. Führungskräfte sind herzlich eingeladen, sich von uns beraten zu lassen“, sagt Sachgebietsleiterin Maren Wagner. „Zusätzlich haben wir als Stadtverwaltung zahlreiche Fortbildungsangebote und stellen E- Learnings und Informationen im Intranet zur Verfügung, wenn sich jemand selbstständig weiterbilden will.